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Das Benehmen in der Kirche vor 130 Jahren (Teil 1)

[Online seit 26.04.2022]

„Die Stätte, wo Deine Voreltern zudem Ewigen beteten, wo Deine Nachkommen wieder zu ihm sich wenden werden, sei Dir und Dir heilig!“
Die Frömmigkeit und der Kirchenbesuch sind in unserer materialistischen Zeit stark im Abnehmen begriffen und wo wir sie noch finden, fehlt ihnen häufig der innere Gehalt. Sie sind zu einer leeren Form geworden, welche oft ganz anderen Gründen als aus dem wahren Herzensbedürfnis hervorgeht. Auch einem minder scharfen Beobachter muss es auffallen, mit welchem geteilten Interesse die meisten dem Gottesdienst beiwohnen. Sie lassen die Augen frei umherschweifen und sehen und hören alles genauer, als das Wort Gottes. Frau Müller weiß am Schlusse der Predigt endlich ganz sicher, dass Frau Schulzes neuester Hut mit echten Goldspitzen geputzt ist; Frau Schulze aber wundert sich nicht wenig, dass Frau Müller schon wieder ein modernes Umhängsel hat, das nach ihrer Berechnung die Verhältnisse der Trägerin weit übersteigt. Indessen erwartet Herr Lehmann ungeduldig das Amen um davonzulaufen, weil Fräulein Schmidt heute doch nicht da ist.
Durch das Gebaren der vielen Nebenbeschäftigten aber, werden häufig auch diejenigen zerstreut, welche das Gotteshaus in ernster Absicht betraten und das ist vielleicht das Schlimmste dabei. Es wäre in der Tat dringend zu wünschen, dass hier eine durchgreifende Änderung einträte und die käme von selbst, wenn der Glaube wieder tiefer und inniger, wenn er wieder Gemeingut unseres Volkes würde. Der Fortschritt, die Zunahme der Bildung, meint man, sei der Religion, dem einfältigen Herzensglauben hinderlich. Wie töricht! Der Anfang der Weisheit ist die Ehrfurcht vor Gott.

Frühes innere Foto der Reilinger katholischen Kirche.
Frühes innere Foto der Reilinger katholischen Kirche.

Die Kleidung sei sorgfältig, aber ohne jeden Prunk. Derselbe sollte schon deswegen vermieden werden, um den minder Begüterten kein Stachel zu sein. Das Wort „wir sollen Brüder sein“ fällt auf sehr unfruchtbaren Boden, wenn Aufwand und Hochmut am Gottesdienste teilnehmen. Jeder sei auf seiner Hut, hierdurch keinen Anstoß zu geben. Sein Betragen richte man ebenso schmucklos und einfach ein, wie seine Kleidung und vermeide es, in irgendwelcher Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Dass Zuspätkommen sich nicht mit dem guten Tone verträgt, ist bekannt; in der Kirche ist es gar vom Übel. Wem es wirklich nicht möglich ist, bei dem Beginn der Andacht zu kommen, der stelle sich wenigstens vor der Predigt ein und störe dieselbe nicht durch sein plötzliches Erscheinen. Größere Kirchen werden beim Anfang der Rede geschlossen. Nur eine kleine Seitentür bleibt offen und an dieser steht der Küster und schärft es dem Nachzügler ein „ja recht leise“ zu sein. Wie beschämend! Als wenn es sich nicht von selbst verstünde, so geräuschlos wie möglich aufzutreten und still den nächsten Platz einzunehmen. Leider können wir alle Tage beobachten, dass die meisten Menschen nichts von dieser einfach gebotenen Rücksicht wissen. Sie kommen zu spät, durchrauschen und durchpoltern die Hauptgänge, um zu ihrem Platze zu gelangen und scheuen sich durchaus nicht, hier einen vollständigen Aufstand zu veranlassen, um ja nicht auf die angestammte Nummer zu verzichten. Wer dieses auf keinen Fall will, komme bei Zeiten! Findet man beim Beginne des Gottesdienstes seinen Platz bereits besetzt, so ist es ebenfalls ratsam, sich anderswo hinzusetzen.

Philipp Bickle

Quelle: „Fürs Haus, Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen“, am Sonnabend, den 3. September 1892, Herausgegeben von Clara von Studnitz, Berlin SW

Modebilder mit Hüten.
Modebilder mit Hüten.

Fotos: Philipp Bickle

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