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Homo erectus reilingensis - Der Reilinger Urmensch

Im Mai 1978 fanden Arbeiter beim Ausbaggern des Reilinger Baggersees eine Schädelkapsel. Sie kam in das Naturkundliche Museum in Stuttgart. Erst 1987 erkannte der Tübinger Anthropologe Dr. Alfred Czarnetzki die Bedeutung dieses Fundes: Die Reste gehören zu einem Homo erectus, einem Vorfahren des heutigen Menschen Homo sapiens. Czarnetzki nannte den Schädel Homo erectus reilingensis asparagensis (weil der Fundort für bestes Spargelgemüse bekannt ist).

Insgesamt wurden bei den Baggerarbeiten in 28 m Tiefe unter der Wasseroberfläche vier Teile gefunden, die sich nahtlos zusammenfügen lassen: die unversehrten Scheitelbeine, ein teilweise erhaltenes Hinterhauptsbein und das rechte Schläfenbein. Czarnetzki reihte morphologisch den Fund zwischen dem Unterkiefer von Mauer (Homo erectus heidelbergensis, etwa 600.000 Jahre alt) und dem Steinheimmensch (Schädel von Steinheim, homo sapiens, 400.000 Jahre alt) ein. Demnach hätte der Reilinger Mensch zwischen 385.000 und 250.000 v.Chr. während der Holstein- Warmzeit gelebt.

Damals gab es noch wärmeliebende Waldelephanten, Nashörner, Wildpferde, Löwen und Affen. Über das tatsächliche Alter des "Reilingers" sagt die Einordnung nach typischen morphologischen Merkmalen allerdings nur wenig. Die Umstände, unter denen der Schädel zu Tage gefördert wurde, schien eine relative Altersbestimmung mit Hilfe der Bodenschichten auszuschließen. Czarnetzki verglich die beim Fund im Innern des Schädels haftenden Sande und Erdreich mit den verschiedenen Schichten an der Fundstelle und stellte fest, dass diese ausgerechnet mit der Bodenschicht identisch sind, die in das Mittelpleistozän datiert. Da genau in dieser Periode auch die "Steinheimerin" gelebt hat, müssten die beiden Verwandten homo erectus und homo sapiens eine Zeitlang nebeneinander gelebt haben.

Der Fund beweist auch, dass der späte Homo erectus auch in Europa lebte, was bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen wurde. Zusammen mit dem Reilinger Urmenschen wurden auch Skelettreste eines Trogontherium Cuvieri (Riesenbiber) gefunden, wie Herr Dr. B. Ziegler vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart mitteilte. Dieser und ein Flußpferd können aus gesicherten Schichtzusammenhängen nicht mehr nach der Holsteinwarmzeit nachgewiesen werden. Spätere Vorkommen gehen auf solche Fundsituationen zurück, wie wir sie von Reilingen kennen. Von Herrmann/Ullrich (Menschwerdung: Akademie Verlag, Berlin ISBN 3-05-000659-5, 1991 S. 602) wurde ein Aminosäuredatum, das von einer Probe aus dem Hinterhauptsbein bestimmt wurde, von 320.000 Jahren publiziert.

Dieses Datum wird von der Fachwelt allgemein anerkannt. Der Fund liegt heute in der Sammlung des staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart, im Reilinger Heimatmuseum können Interessenten eine Abformung des Schädels bewundern.

Das Alter des Reilinger Schädels aus geologischer Sicht

In einer Tiefe von ca. 20-25 m unter dem Grundwasserspiegel findet man in den meisten Kiesgruben zwischen Karlsruhe und Darmstadt eine Schicht, die schwarze, fast vermoderte Eichenstämme (oft bis 1 m Durchmesser) und andere warmzeitliche Fossilien (z. B. von Flusspferd, Wasserbüffel, Waldelefant sowie von warmzeitlichen Schnecken) enthält. Nach jetzigem Forschungsstand handelt es sich hierbei um eine Ablagerung aus der letzten Warmzeit (Riß-Würm-Interglazial), die von ca. 125.000 - 115.000 Jahre vor heute dauerte (Shakleton et al. 1973). Die darüberfolgenden Ablagerungen der letzten Eiszeit (ca. 115.000 - 10.000 J. v. h.) enthalten entweder keine Hölzer oder nur Nadelhölzer und kälteunempfindliche Laubhölzer (z. B. Birke, Weide etc.).

Eine ähnliche Abfolge der jungpleistozänen Sedimente hat Schweiss (1988) auch im Gebiet zwischen Worms und Darmstadt gefunden. Wie zwei ehemalige Baggerführer, Heiner Gäng und Erwin Uhl, bestätigten, reichte die Ausbeutungstiefe in der Kiesgrube der Fa. Walther nirgends tiefer als 25 m unter den Grundwasserspiegel. Unterhalb davon wird nämlich der von den Geologen und Hydrologen so bezeichnete "obere Ton" angetroffen. Es handelt sich hierbei um eine im nördlichen Oberrheingraben weit verbreitete tonig bis feinsandige Schicht, deren Material für die Bauindustrie weitgehend unbrauchbar ist. Sie bildet nicht nur dort, sondern in den meisten Kiesgruben der Region die untere Abbaugrenze. Das tiefste Baggergut kann also aus geologischer Sicht nicht älter als 125.000 Jahre sein. Damit gehörte der Reilinger Mensch aber noch immer zu den drei ältesten Menschentypen in Baden-Württemberg.