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Das "Sofakino" oder "Wie das Fernsehen nach Reilingen kam!"(1953/54)

[Online seit 11.11.2019]

Familie vor dem Schwarzweißfernseher
Familie vor dem Schwarzweißfernseher
Eine Menschenschlange vor einem Schaufenster bei der Übertragung eines Fußballspieles
Eine Menschenschlange vor einem Schaufenster bei der Übertragung eines Fußballspieles

Meine erste Reilinger Fernsehsendung erlebte ich am 02. Juni 1953. Es war in der Hockenheimer Straße  19 (Haus abgerissen; heute Straße) im Radiogeschäft von Walter Hocker („Radio Hocker“). Damals wurde in England Königin Elisabeth gekrönt.  Die Krönung wurde erstmals im relativ neuen Medium  Fernsehen öffentlich gezeigt. Die Zahl der wenigen Fernsehgeräte in England sprang dadurch von wenigen Hunderttausend auf vier Millionen in die Höhe. Insgesamt verfolgten damals etwa 300 Millionen Zuschauer die Zeremonie. Das zweite Ereignis war im Jahre 1954 die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz. Da saßen wir gedrängt in der Autoreparaturwerkstatt von Werner Kälberer (Ecke Sophienstraße).

Damals gab es in Reilingen nur wenige private Fernseher und man suchte stets nach einer Gelegenheit, um an solch einem Gerät zum Mitschauen oder zum  Geduldet-werden eingeladen zu werden. Die Krönung der englischen Königin  sahen wir, zusammen mit gut 15 anderen „Mitguckern“ in der kleinen Werkstatt von Radiotechniker Walter Hocker. Ob es damals (1953) noch ein weiteres (Schwarz-weiß)- Gerät in Reilingen gab, weiß ich nicht! Die Technik dieser ersten Fernsehgeräte war dürftig, und häufig „flimmerte“ und „schneite“ es auf der kleinen Bildscheibe. Willi Gögele musste immer zwischen Werkstatt und Dach hin und her rennen, um die primitive Antenne in die richtige Himmelsrichtung zu drehen. („Willi,  kumm runner!“ oder „Halt, dreh noch ä bissl nach links!“ lauteten die mündlich erteilten Anweisungen, bis Bild und Ton mal für ein paar Minuten in Ordnung waren!)

 

Weit voraus waren die Amerikaner mit der Fernsehentwicklung. So überlegt der „Caritaskalender 1954, Seite 87, LAMBERTUS Verlag; Freiburg, Breisgau): „ Was ergibt sich für Deutschland? In Norddeutschland, in Bayern und auch in andreren Sendegebieten gibt es Fernsehsendungen. Als in Wanne-Eickel die erste öffentliche Fernsehversuchssendung in einem Geschäft durchgeführt wurde, drängten sich so viele Menschen, dass die Polizei einschreiten musste ... Ob dieses neue Unterhaltungsmittel unsere Familien noch weiter abstumpft ,und die schon vielfältig gefährdeten Beziehungen zwischen den einzelnen Familiengliedern und damit zwischen den Menschen und überhaupt noch weiter lockert, die Passivität auf der einen Seite und die Vergnügungsgier auf der anderen Seite weiter verstärkt, oder ob es zum großartigen Erziehungs- und Bildungsmittel wird, und damit die Menschen  zu einer größeren inneren Freiheit und Überlegenheit führt, das wird weitgehend von den jetzigen Eltern abhängen. Es wird darauf ankommen, ob es den Eltern gelingt, ihre Familien und damit die Menschen so zu beheimaten, dass sie die überbelichtete Gegenwart der ganzen Welt in den eigenen vier Wänden ohne seelischen Schaden ertragen und Nutzen daraus ziehen zu können. Es wird freilich auch davon abhängen, wieweit wir  unseren Einfluss  auf die Gestaltung guter Fernsehprogramme von Anfang an geltend machen. Grete Borgmann- Sieber“  Inwieweit haben sich diese Voraussagen vor 65 Jahren bewahrheitet?

Und wie ging es dann weiter? Die Ländergesellschaften einigten sich am 1. November 1954 zum  (Ersten) Deutschen Fernsehen“.   Auf die Mattscheibe   kam das neue spiralenförmige  Markenzeichen auf dem Testbild. Es gab jetzt schon 55 000 Fernsehgeräte. (In der DDR  waren es Ende 1954  2313  Fernsehgeräte. Am 30.März 1954 startete in der DDR die „Aktuelle Kamera“, welche der „Tagesschau“ in der BRD entsprach.) Doch es gab noch lange Umschaltpausen, bis einer oder ein anderer der Landessender in das gemeinsame Programm kam. Erst später kam es dann zum „Zweiten Deutschen Fernsehen“ am 1. April 1963) in Mainz, sowie zu den Dritten Programmen, (ab 1964) zu privaten Fernsehsendern  (1. Jan.1984 Sat 1) und interessant wurde auch das Farbfernsehen (ab 1967 Funkausstellung Berlin).

Als Folge des Fernsehens wurde dann manches Kino geschlossen, denn die „Wochenschauen“  waren nicht mehr aktuell. Man konnte bequem zu Hause das Weltgeschehen verfolgen. Abschlägig sprach man denn auch vom „Pantoffelkino“!

Um die hier geschilderte Zeit  (1954) noch ein wenig erfassbarer zu machen. 1kg Bohnenkaffee kostete 22,60 DM. 1kg Kartoffeln 0,98 DM  1 kg Butter 6,32 DM und ein Fernseher etwa 700 DM.  Die durchschnittliche  Wochenarbeitszeit für gewerbliche Arbeiter betrug 50 Std. und der durchschnittliche Monatslohn 449,60 DM.

Philipp Bickle
Fotos: le

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