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Als die Großväter noch "schickten"

[Online seit 10.07.2015]

Bilder aus dem Heimatmuseum "Tabaktopf in Salzgglasur"
Bilder aus dem Heimatmuseum "Tabaktopf in Salzgglasur"
Meine beiden Großväter, der Zigarrenarbeiter Johann Christian Bickle (1881 – 1960) und mütterlicherseits der Landwirt und auch für Ludwig ("Loui") Heilmann stellvertretend den Leichenwagen fahrend, Adam Christ (1878 – 1955) liebten beide den Kautabak. Mein Großvater Adam konnte auch "Dachreiter" (zum Trocknen unter dem Dach aufgehängte Tabakblätter, im "Bandlier" aufgefädelt), also unbehandelten Tabak, kauen.
Der richtige Kautabak, den ich in Reilingen beim "Freye Frisör" oder bei "Kiefe Bäckers", später Hedwig und Walter Frank in der Kirchenstraße, kaufen durfte, war natürlich feiner. Heute erinnern an diese Zeit nur noch Tabaktöpfe mit blauer Salzlasur oder blecherne Döschen für die Hosentasche. Heute heißt es im deutschen Tabaksteuergesetz:
"Tabak in Rollen, Stangen, Streifen, Würfeln oder Platten, der so zubereitet ist, dass er sich nicht zum Rauchen, sondern zum Kauen eignet" (BGB 1979). Da auch heute wieder Kautabak auf dem Markte ist, tragen die heutigen Packungen den Pflichthinweis: "Dieses Tabakerzeugnis kann ihre Gesundheit schädigen und macht abhängig."
Historisch gesehen war der Kautabak bei Seeleuten beliebt, da auf den hölzernen Segelschiffen nicht geraucht werden durfte. Christoph Kolumbus hatte nicht nur die Tabakpflanze nach Europa gebracht, sondern er hatte auch entdeckt, dass die Indianer Tabakkugeln kauten, die mit Muschelkalk versetzt waren.
Unsere Kautabakdosen im Museum kommen mit verschiedenen Namen einher. Sie sind
z.B. von "Grimm&Triepel (Kruse)" oder " G.A.Hanewacker". So sei hier kurz die Geschichte der über 150 Jahre alten Firma "Grimm&Triepel Kruse Kautabak" geschildert. Sie produziert heute noch und man kann dort Führungen durch die Produktion erleben.
1849 wurde die Firma von Theodor Grimm als eine Kau-, Rauch-, Schnupftabak- und Zigarrenfabrik in Nordhausen am Harz gebaut. Man spezialisierte sich aber auf Kautabak. Später kam noch Adolf Triepel als Teilhaber in den Betrieb. Da beide keine Kinder hatten, wurde 1881 das florierende Unternehmen an Otto Kruse verkauft. Das Unternehmen hatte vor dem 2. Weltkrieg bis zu 1.800 Mitarbeiter und wurde Europas größte Kautabakfabrik, die jährlich 65 Millionen Packungen (Rollen, Hufeisen, Knoten, Stangen u.ä.) herstellte. Nach Kriegsende wurde die Familie Kruse im Rahmen der kommunistischen Bodnereform enteignet und musste Nordhausen verlassen. Nahe der Zonengrenze begann man in Unterrieden/Werra ein neues Unternehmen. Der völlige Zusammenbruch des Kautabakmarktes führte zur Übernahme der Firmen "Wahrer Jakob" (Heidelberg), "Hanewacker "usw. Die Wiedervereinigung 1989 brachte zunächst einen Umsatzzuwuchs, da die DDR-Kautabakproduktion durch die Firma Reemtsma in Nordhausen geschlossen wurde. Heute ist die Firma "Grimm&Triepel Kruse Kautabak GmbH die einzige Kautabakfabrik Deutschlands. Heute wird der Kautabak vornehmlich aus Kentucky-Tabaken hergestellt. Er wird in Soßen mit Fruchtessenzen u.a. aus Apfelsinen, Zitronen, Plauen, Rosinen, Feigen sowie Honig, Traubenzucker, Lakritze oder Mint-Menthol zubereitet. Die Behandlung dauert acht bis zwölf Wochen.
Nun aber zurück zu den Reilinger "Schickern" ,unseren Großvätern. Der Kautabak wird nicht ausschließlich gekaut, sondern in die Backe gelegt. Der nun entstehende Saft wurde nun ausgespuckt, selten hinuntergeschluckt. Im Freien spuckte man in die Umwelt. Im Zug, im Büro usw. hieß es: "Nicht auf den Boden spucken!" Es gab dafür spezielle Spucknäpfe. In der Küche wurde gerne (sehr zum Leidwesen der Hausfrau) der Kohlenkasten benutzt (!!). Ein bekannter Reilinger Maurer, der "Freye Rout", soll sogar ohne Wasserwaage gearbeitet haben, die fallende Spucke diente ihm als Lot. Kam ein schmächtiger junger Mann die Straße herunter, so hieß es: Der kummt deeher wie änn "Fünfer-Schick" ( abgeschnittenes Kautabakstück zu fünf Pfennig ("Penning").
Philipp Bickle
"Blechbehälter" für die Hosen-oder Manteltaschen für unterwegs
"Blechbehälter" für die Hosen-oder Manteltaschen für unterwegs

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