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Die neuen Funde von der Burg Wersau

[Online seit 05.01.2011]

Scherben von Töpfen, einem Deckel und Bechern; Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)
Scherben von Töpfen, einem Deckel und Bechern; Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)

Die drei Monate dauernde Sondierungsgrabung der Mittelalterarchäologe erbrachte nicht nur Befunde (d.h. Baustrukturen; siehe Artikel Benner & Dr. Damminger in den Reilinger Nachrichten vom 23.12.) sondern auch erfreuliche viele Funde.
Ganz speziell ist den ehrenamtlich tätigen "Freunden der Reilinger Geschichte" zu danken: Sie durchsuchten unermüdlich die Aushübe der Baggerschnitte und konnten so viele Scherben und Anderes bergen. Wegen deren sehr guten Arbeit erhielten sie später auch ein eigenes Grabungsquadrat im Eingangsbereich zur Hauptburg zugeteilt; die Grabung ist zwar dort wegen des frühen Wintereinbruchs momentan eingestellt, lieferte aber immense Keramikbruchmengen aus dem Spätmittelalter. Da die Burg laut urkundlichen Quellen bis 1622 intakt war, so muss dieses Material erst in späterer Zeit dort hin verbracht worden sein - es ist also umgelagert.

Scherben von Steinzeuggefäßen und einem Becher der Dieburger Ware(?); Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)
Scherben von Steinzeuggefäßen und einem Becher der Dieburger Ware(?); Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)

Die in großen Mengen angefallenen keramischen Funde stammen fast ohne Ausnahmen aus dem spätesten Abschnitt des Mittelalters (15. und beginnendes 16. Jh.).
Es herrscht die lokal gefertigte unglasierte Jüngere Drehscheibenware in ihrer reduzierend (dunkel)grau gebrannten Ausprägung vor. Bei den Töpfen fallen Fragmente von sehr großen Exemplaren ins Auge, die Randdurchmesser von 20 cm oder mehr aufweisen.
Neben den Koch- und Vorratstöpfen sind vor allem Trinkbecher gut vertreten. Es begegnen verschiedene Varianten der Fußbecher bis hin zu breiten Exemplaren mit kurzen Rändern, die ihre besten Parallelen unter den Funden der 1. Hälfte des 16. Jhs. auf dem Heidelberger Kornmarkt oder vom Heidelberger Schloss haben. Aber auch flachbodige Exemplare in der Art des im frühen 15. Jh. vergrabenen Münzschatzgefäßes aus Ubstadt-Weiher kommen mehrfach vor.
Seltener treten Krüge, Flaschen, Henkelschalen (Nachttöpfe ?) und dreifüßige Pfännchen innerhalb der einheimischen Irdenware auf. Als bemerkenswerte Sonderformen müssen große, steilwandige Töpfe mit kurzen, rundlichen Rändern gelten, deren extrem dünne Wandungen facettenartige Bearbeitungsspuren tragen. Sie könnte einst als Essigbehälter gedient haben. Auch das Bruchstück eines Metallvorbilder nachahmenden Gefäßes verdient Erwähnung, da es sich um einen Spender für Handwaschwasser (sog. Lavabokessel) handelt.
Nicht zur Geschirrkeramik zählt das Fragment eines grauen Signalhorns; für solche Wächterhörner kennt man von zahlreichen Burgen der Region gute Parallelen.

Scherben von Ofenkacheln; Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)
Scherben von Ofenkacheln; Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)

Keramik aus entfernteren Landstrichen war in Wersau in geringerem Umfang ebenfalls in Gebrauch. Aus dem südhessischen Töpferort Dieburg stammen Scherben von Bechern oder kleinen Krügen des späten 14./15. Jhs. mit dunkelbraunem, manchmal glasurartigen Überzug. Ob auch ein Becheroberteil mit schmalen roten Engobezonen innen und außen zur Dieburger Ware gezählt werden darf, ist derzeit noch unklar.
Ein sehr hart gebrannter Becher aus sogenanntem Proto-Steinzeug ist älter(13. Jh.) und kann leider keinem Herstellungsort, wohl aber einer Region (Rheinland) zugeordnet werden.
Ähnliches gilt für die meisten Fragmente aus "echtem" Steinzeug in Wersau, die frühestens um 1300 produziert worden sein können. Auch hier ist lediglich eine fremde Entstehung gesichert. Anders verhält es sich mit einem Krugoberteil aus grauem Steinzeug. Hier wird man eine Herkunft aus dem nördlichen Elsaß (Raum Hagenau - Soufflenheim) annehmen müssen.
Bei der im Fundgut gut vertretenen Ofenkeramik seien angesichts des beschränkten Platzes nur wenige Stücke kurz angesprochen.
Die untere Wandungspartie einer Becherkachel ist sowohl wegen ihrer hierzulande ungewöhnlichen Form ("Spitzkachel") als auch der frühen Zeitstellung (12./13. Jh.) hervorhebenswert. Unter den vielen optisch wenig ansprechenden grauen Becher- , Napf- und Schüsselkacheln des13. bis frühen 16. Jhs. fällt eine innenseitig grün glasierte Viereckkachel als Besonderheit auf. Glasur ist ansonsten auf die aufwändig gestalteten, mit Reliefdekor ausgestatteten Blatt- und Nischenkacheln beschränkt. Das eindrucksvollste Beispiel liefert zweifellos eine grün glasierte Löwenkachel. Halbzylindrische ("Nischen"-) Kacheln des späteren 14. und 15. Jhs. tragen in der Regel gelbe oder grüne Glasur. Die interessanteste unter den Nischenkacheln legt mit dem Rautenschild (dem auf der Gegenseite wohl der Löwe als weiterer Bestandteil des Wittelsbacher Wappens gegensüberstand) im linken Zwickel sozusagen ein Bekenntnis zur pfalzgräflichen Herrschaft über die Burg ab.
Der Pfalzgraf selbst muß nach Aussage zweier Bruchstücke einer Renaissancekachel zumindest bildlich in Wersau präsent gewesen sein. Davon zeugt das Fragment mit der Bezeichnung "(Pfaltz)graf" und der Datierung "1566" auf einer Kartusche.
Auf die durchaus gehobenen Ausstattung der Gebäude weisen außer den Ofenkacheln noch weitere Funde hin. Eine Fliese mit Eichblattdekor gehört zu einer Gruppe motivgleicher Bodenbeläge, die im Neckarmündungsraum schon mehrfach nachgewiesen werden konnten.
Äußerst ungewöhnlich für eine Burg sind hierzulande die grün glasierten Dachziegel. Die seltenen Nachweise für spätmittelalterliche Ziegel mit farbigen Glasuren beschränken sich bislang auf Kirchen und einige städtische Repräsentationsbauten. Hinzuweisen ist noch auf auch schon früher öfters gefundene Knochen mit Sägespuren, die eine Knochenschnitzerei belegen.

Durch die insgesamt über 10.000 Einzelfunde lassen sich schon jetzt wichtige Aussagen treffen:
a) Da, obwohl alle Baggerschnitte bis auf den "gewachsenen Boden" geführt wurden, nicht eine einzige römische Scherbe gefunden wurde, ist die auf Historiker des frühen 19. Jh. zurückgehende Vermutung zu verwerfen, dass die Burg Wersau auf einen römischen Wehrbau zurückgehen könnte.
b) Die vermutete Frühphase der Burg Mitte 11. bis Mitte 12. Jahrhundert konnte bisher (noch?) nicht belegt werden. Dies mag daran liegen, dass - anders als in römischer oder spätmittelalterlicher Zeit - der hochmittelalterliche Fundanfall generell viel geringer ist und sich evtl. erst zeigt, wenn tiefere Schichten der Kernburg angegraben werden.
c) Funde des 14. Jahrhunderts sind gut und auch sehr qualitätvoll z.B. mit ornamentierten Bodenfliesen vertreten.
d) Der bisherige Haupt-Fundanfall ist dem 15. und frühen 16. Jahrhundert zuzuweisen. Dies belegt, dass die Vorburg - aus der ja die meisten Scherben stammen - erst zu dieser Zeit angelegt wurde.
e) Einige sicherlich aus der Kernburg verlagerte Einzelstücke spiegeln die gehobene Ausstattung der Burg wider: Ornamentierte Bodenfliesen aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts, die wohl in Speyer hergestellt wurden; ornamentierte und glasierte Ofenkacheln des Typs "Tannenberg" derselben Zeit; grün glasierte Dachziegel, des 15. Jahrhunderts und zeitgleiche Ofenkacheln mit der Darstellung von Fabelwesen; Reste von großen gläsernen Trinkbechern der Zeit um 1500; Teile von so genannten "Pfalzgrafenkacheln" - ein Bruchstück datierbar auf 1566.
Dies belegt, dass zwischen (um einmal ganz grobe Jahreszahlen zu nennen) 1360 und 1580 auf der Kernburg (die ja noch gar nicht angegraben wurde!) hinsichtlich der Ausstattung ein ganz hohes (eben pfalzgräfliches) Niveau herrschte, das auch immer wieder (Ofenkacheln) modernisiert wurde. Man darf auf die weiteren Ausgrabungsfunde des Jahres 2011 gespannt sein.
Dr. Uwe Gross & Dr. Ludwig Hildebrandt

Bruchstück eines glasierten Dachziegels und einer Fußbodenfliese; Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)
Bruchstück eines glasierten Dachziegels und einer Fußbodenfliese; Foto B. Hausner, RP-Stuttgart (LAD)

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