Gemeinde Reilingen

(Nach einem Bericht des evangelischen Pfarrers Otto Braun, seit 1936 bis 1950 in Reilingen)
 
„Aber am Sonntag kann ich wieder in die Kirch´!“sagte der alte Zahs und versuchte mühsam, um Tisch und Stuhllehne sich stützend, mit seinem schweren Körper vom Stuhl zu erheben. Wenn der Pfarrer kam oder ging, dann stand er auf; er wusste, was sich gehört, auch wenn der Pfarrer erst 31 und er selbst an die 80 Jahren zählte. „ Aber bleiben Sie doch sitzen!“ beeilte sich der junge Pfarrer zu sagen, „ meinetwegen brauchen Sie sich nicht die Mühe zu machen. Es geht ja doch fast nicht mehr!“

Aber schon stand der Alte, gebückt, den massigen Körper etwas vorgebeugt, den starken, schweren Kopf mühsam und zitternd zum Pfarrer aufhabend. „ Es geht schon noch!“ versetzte er mit seiner tiefen, schon etwas brüchigen Stimme. „Morgen will ich doch gleich in der Früh‘ probieren, ob ich nicht in die Schuh‘ einkomm‘ ,eh‘ die Füß‘ wieder dicker werden.“ Langsam hob er die schwielige, gedunsene Hand und streckte sie dem Pfarrer zum Gruß hin. Es war eine derbe Maurerhand, und doch geschulte Hand eines Künstlers, der kein Rädchen am Turmuhrwerk zu versteckt, keine Zungenstimme und kein Registerzug an der Kirchenorgel zu fein gewesen war; eine Hand, die einst ebnete sicher über die Orgeltasten geglitten war, wie sie die Steine zum Mauerbogen gesetzt hatte. Jetzt griff diese Hand zittrig, aber noch immer mit herzhaftem Druck die Rechte des Pfarrers und hielt sie fest, länger als dem etwas eiligen Jüngerem nötig schien. „ Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer, ich dank auf für den Besuch: Und kommen Sie bald wieder einmal!“
Der Pfarrer ging. Der alte Mann stand wieder schwer auf den Stuhl zurück, der unter der Luft ächzte. Der treuherzige Blick, den er mit seinen kindlichen Augen dem davonzueilenden nachsandte, ließ aber ahnen von starker, herzlicher Anhänglichkeit, die ihn den greisen Kirchendiener der Gemeinde mit dem jungen Pfarrer verband. War es mehr väterliche Fürsorge für den Jungen, der nun erst seit zwei Jahren in dem Dorfe amtierte…..“
 

Die 78jährige Kirchendienerin von Anna Zahs
 (Anna Zahs ,geb Weißbrodt (1861 bis 1952) verheiratete  im Jahre 1886 mit Kirchendiener und Maurer  Zahs)
Otto Braun kommentierte, das er nach 50 jähriger Zugehörigkeit: „Das freundliche Lachen begleitete ihres Lebens. Das ihn abends begrüßte daheim, wenn er zum kalkbespritzten Mauerkittel hungrig vom Bau kam. So war es immer von 50 Jahren gewesen. Sie war die 78jährige, die längste Urgroßmutter geworden war, aber er nannte gern seine „ehemalige Braut“. Mit grauem Haar und faltigen, eingefallenen Wangen. Hager und unscheinbar saß sie auf der harten Holzkiste neben dem Herd. Siebzehn Kinder hatte sie ihm geschenkt, von denen allerdings nur fünf groß wurden, dreiundzwanzig Enkel und neun Urenkel, so war der Stand der Familie gewesen, als das Urgroßelternpaar der Jahresfrist im Gottesdienst in der altvertrauten Dorfkirche vor der versammelten Gemeinde seine Goldene Hochzeit feierten und der Großvater dabei seinen jüngsten Urenkel über die Taufe hielt. Es hatte dem Pfarrer verschlagen, als er das feierliche Wort an das Jubelpaar richtete, während der treue Blick das Alten unverwandt an seinem Munde hing: „Wie ihr vor fünfzig Jahren zum Traualtar getreten seid, so tretet heute wiederum herzu…“ Und der Alte selbst brachte nur in tiefer Bewegung mit Mühe die kurzen Dankesworte für die Gnade dieses Tages über die Lippen; das hatte er tief in jener Stunde nicht nehmen lassen.“  
Quellen: Handgeschriebenes Buch in Sütterlinschrift : „Türhüter in meines Gottes Haus“, Erinnerungen an den alten Zahs, Dezember 1939, Otto Braun. Das selbst gefertigte Buch wurde von Margrit und Hermann Hoffmann (Schmied), Neulußheim, zur Redaktion überreicht. ---- Konfirmation mit 1949 und Pfarrer Otto Braun—In der evangelischen alten Orgel  ----- Kirchendiener Jakob und Anna Zahs (Ausschnitt)

Philipp Bickle