Wir berichten
Weihnachts- oder Neujahrsbräuche vor 50 Jahren
[Online seit 04.01.2013]
Anke Koob von der Schwetzinger Zeitung" war kürzlich im Reilinger Heimatmuseum und wollte wissen, was man früher in Reilingen an Neujahr für Bräuche gehabt hätte, und sie fragte auch nach, ob es dort etwas zu fotografieren gäbe.
Museumsleiterin Hildegard Bickle führte sie zunächst in die "Museumsbäckerei", wo es ein Lebkuchenmodel von der Bäckerei Karl Kief gab. Dazu stand auch die klobige "Lebkuchenbreche" von der Bäckerei Otto Schnepf, die mit dem Holzdrücker von der Bäckerei Ruffler (Mannheim), inzwischen wieder vollkommen zeigt, wie schwierig das Kneten des zähen Lebkuchenteiges war. Herzförmige Blechformen zeigten, wie einst große Lebkuchenherzen oder sogar Herzen mit dem Holzmodel als beliebte Neujahrsgaben überreicht wurden. Kleinere Blechformen wurden für weniger große Lebküchlein verwendet, welche oft mit einem bunten Papierbild vom Nikolaus, von einem Engel oder gar von Hänsel und Gretel beklebt waren. Später gab es für die Patenkinder , wie wir in der Bäckerei Schieck ("Kreuzbäcker") auch heute wieder gesehen haben, ein Biskuitherz mit Buttercreme und der Inschrift " Prosit Neujahr! " Die Form eines Hefemännchens "Dambedei", wie heute teilweise üblich, ist erst in der letzten Zeit bei uns aufgetaucht. Dafür gab es bei uns einen Hefemann zu kaufen, der ein weißes "Knipsel" (Tabakpfeife aus Ton) im Mund hatte. Nach dem Verspeisen desselben, "rauchten" die Buben mit Begeisterung an der herausgelösten weißen Tonpfeife, wie sie es beim Großvater gesehen hatten. Am Neujahrsmorgen gingen die Kinder zu den Paten, zur "Geed´l" und zum "Pedderich", um ihnen das Neue Jahr "anzuschießen" oder anzusagen. Ich hatte hierzu ein "Stöpfelgewehr", das mit Korken mit Knalleinlagen geladen wurde. Ein Stift ließ dann eine Miniexplosion ertönen. Andere, größere Kinder hatten vielleicht auch noch einen "Schwärmer" oder "Knallfrosch" dabei. Die "Ersatzkorkenmunition" gab es in einer Pappschachtel mit Sägespänen z. B. im Schreibwarenladen August Schneider in der Hockenheimer Straße für 50 Pfennig zu kaufen. Aber an ein ein teures, farbenfrohes Feuerwerk , wie heute, war nicht zu denken. Wichtig war aber auch, dass man auf dem Wege zu den Paten alle Personen nicht mit einem "Guten Morgen!" sondern mit einem lauten und freundlichen "Prosit (" pro sit" lateinisch: Es möge Dir zuträglich sein!") Neujahr" begrüßte. Bei den Paten angekommen ließ man dann seinen "Neujahrsspruch" los:
"Prost ( Pro sit! ) Neijohr, ä Brätzl wie ä Scheiere-Door, ä Worscht sou grouß wie ä Offe-Rohr! Prost Neijohr!" Neben den schon geschilderten Herzen gab es aber auch Äpfel, Nüsse und andere Köstlichkeiten.
Die Gebräuche waren natürlich oft von Ortschaft zu Ortschaft oder von Familie zu Familie verschieden. Interessant ist auch ein "Heischespruch" ( Heute z. B. an Halloween: "Gib Süßes oder Saures!") wie ihn der Heimatforscher Konrad Litterer (1899 – 1977) aus unserer Region berichtet: " Prost Neijohr, e Brezl wie e Scheieredoor, e Christdei wie e Offeplatt, do werre ma all minanna satt!"
Im letzten Newsletter hatten wir einen ausführlichen Bericht über "die" Christdai veröffentlicht. In Reilingen und anderen umliegenden Gemeinden sagte man aber "das" Chrischt-Oi. ( Christ-Ei ). In dem halbmondartigen, übereinander geschlagenen einfachen oder gefüllten Hefeteig muss kein Ei sein. Also ist es auch hier, dass durch ein schnell gesprochenes "Christdai" ein "Christei" geworden ist. Daher auch der Name "Dambe-Dai" erklärlich. Die "Daie" sollen früher einmal Gebildbrote gewesen sein, die man den Göttern weihte. Über die vielfach gepriesen bunten Spanschachteln, kann ich nichts sagen. Aber in alten Häusern entdeckten wir hölzerne Spanschachteln, welche zum Aufbewahren von Dokumenten dienten, und vielleicht einmal Süßigkeiten zu Neujahr enthalten haben könnten.
Philipp Bickle