Aus dem Vereinsleben

Verbraucher müssen Beitrag zum Qualitätserhalt der Nahrung leisten

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Kreiserntedankfest von Landfrauen, Landjugend und Bauernverband mit kritischem Vortrag von Dr. Clemens Dirscherl (EKD)

Zum ihrem gemeinsamen Kreiserntedankfest haben die Landfrauen, die Landjugend und der Bauernverband gestern Nachmittag in die Fritz-Mannherz-Hallen nach Reilingen eingeladen. Nach einem Stück des evangelischen Posaunenchors, der die gesamte Veranstaltung musikalisch zusammen mit der Landjugend, die verschiedene Tänze aufführte und auch für die Dekoration des reich gedeckten Erntedankaltars sorgte, umrahmte, begrüßte der stellvertretende Vorsitzende des Bauernverbandes Rhein-Neckar die zahlreichen Besucher und Ehrengäste.

Rupert Bach erinnerte daran, dass das Wetter ein ständiger Begleiter in der Landwirtschaft ist, das Gelingen oder Misslingen einer Ernte also nicht nur vom Menschen abhängig sei. Und gerade vor diesem Hintergrund sei es immer wieder angebracht, die Schöpfung zu respektieren. In diesem Jahr habe die Natur die frühe Trockenperiode durch längere Regenzeiten im Sommer ausgeglichen, so dass immerhin die Rüben noch einen einigermaßen guten Ertrag eingebracht hätten.

Carmen Knauer, Vorsitzende der Kreislandfrauen Mannheim, mahnte die Situation von ländlichen Strukturen in vielen Regionen - auch im Rhein-Neckar-Kreis - an, die durch Globalisierungstrends und grenzenlosen Konsum in ihrer Existenz vielfach gefährdet seien. Immer weniger bäuerliche Familien könnten im harten Konkurrenzkampf gegen die "Großen" bestehen.

Speisezettel nach der Saison
Der Verbraucher verlange gesunde und umweltschonende Produkte zu fairen Preisen, in den Schlagzeilen der letzten Jahre beherrschten jedoch Skandale wie Gammelfleisch, Rinderwahnsinn oder Schweinepest die Schlagzeilen. Hochwertige Erzeugnisse hätten jedoch nur durch einen "Wandel im Handel" eine Chance, der Transparenz von Acker bis zum Einkaufskorb gewährleiste, sowie durch das Verhalten der Käufer. Die seien gefordert, ihren Speisezettel entsprechend der saisonalen und regionalen Angebote zu gestalten. "Dadurch leisten Konsumenten ihren Beitrag zum Erhalt von Bauernfamilien, die eben jene Qualität der Lebensmittel garantieren, die sie wünschen. Durch dieses Verhalten tragen die Verbraucher zur Bewahrung der Schöpfung Gottes bei", so Carmen Knauer abschließend.

Reilingens Bürgermeister Walter Klein griff die Metapher eines indischen Ministers auf, der die Landwirtschaft als Ganzes mit einer Pflanze verglichen hatte: "Beide fordern die ganze Aufmerksamkeit, aber sie danken diese Pflege auch. Ebenso sollten wir für die Ernte dankbar sein." Das Fest habe eine lange Tradition, an der man gerade in landwirtschaftlich geprägten Regionen gerne festhalte. Denn wenn der Ertrag reich ausgefallen sei, könne man den Wintermonaten ruhig entgegen sehen. Er bedauerte, dass die Landwirtschaft im öffentlichen Bewusstsein keinen festen Platz habe - es sei denn, es gehe um Skandale. Doch mit den Diskussionen um den Klimawandel ändere sich diese Haltung. Denn auch hierzulande sei eine gute Ernte nicht selbstverständlich, die Sorge um "unser täglich Brot" betreffe alle Menschen.

Dr. Dieter Eitel, Leiter des Kreis-Landwirtschaftsamtes, stimmte die Besucher nachdenklich mit der Feststellung, dass "wir an einem solchen Tag allen Grund haben dankbar zu sein. Dafür nämlich, dass zu den acht Prozent der Weltbevölkerung gehören, die im wohlhabenden Teil der Welt leben. Dagegen leiden 850 Millionen Frauen, Männer und Kinder an Hunger, 24 000 Menschen sterben täglich an Unterernährung, 13 000 davon sind Mädchen und Jungen unter fünf Jahren."

Mahnende, wenn auch recht ausschweifende Worte fand der Festredner des Nachmittags, der die Gäste an seinen Gedanken zum Thema "Erntedank und die heutige Einstellung hierzu in der Bevölkerung" teilhaben ließ. Dr. Clemens Dirscherl, Beauftragter für agrarsoziale Fragen der Evangelischen Kirche Deutschlands, beklagte den Umstand, dass vielerorten das Erntedankfest nur noch folkloristische Erwartungen erfülle, sich aber inhaltlich immer weiter vom eigentlichen Sinn entferne. Erntedank zu feiern habe Tradition in allen Kulturen der Weltgeschichte, nicht nur bei den Christen.

Lebensversicherung Landwirt
Zu allen Zeiten habe man höheren Wesen und Mächten Ehrfurcht für gute Erträge auf dem Feld gezollt. "Wir danken heute dafür, dass Gottes Segen auf der Ernte liegt mit der Gewissheit, dass damit die Familie und auch die Gesellschaft ernährt wird", so Dirscherl. "Die Landwirtschaft ist somit eine Lebensversicherung, weitaus nachhaltiger als alle Angebote von Versicherungsgesellschaften." Aber es gehöre auch zur Zukunftsvorsorge, sorgsam mit dem Boden für nachfolgende Generationen umzugehen.

Das Erntedankfest, mit vielen Bräuchen angereichert, sei mittlerweile "Kult", ein Wort, das seinen Ursprung im Lateinischen hat. Dort bedeute "colere" soviel wie "pflegen" oder "hegen", machte er einen kleinen Ausflug in die Altphilologie. In anderen Sprachen finde sich der Wortstamm noch wieder in den Vokabeln, die "Landwirtschaft" bedeuten. Leider sehe er immer wieder putzige Mädchen und Jungen in Gottesdiensten, die - unterstützt von den üblichen Klischees - den Erntedankgottesdienst in der Kirche gestalten. In Gesprächen mit Pfarrern habe er zur Antwort bekommen, das sei eine gute Möglichkeit, die Eltern von Kindergartenkindern in die Kirche zu bekommen. "Hier wird das Fest instrumentalisiert, und das gefällt mir gar nicht", bedauerte er. Denn schließlich hätten Kinder eben noch nichts mit der Ernte in der Landwirtschaft zu tun, im Kindergarten mache man sich häufig noch nicht einmal die Mühe, die Natur vorher zu beobachten und den tieferen Sinn zu erfassen. "Das 'Danke'-Moment wird immer mehr vergessen, häufig verkommt Erntedank zum bloßen Volksfest!"

Aber Dankbarkeit sei auch innerhalb der Bauerngemeinschaft häufig nicht mehr existent. Das Nebeneinander, das durch die Vielfalt der Landwirtschaft entsteht, arte bedauerlicherweise manchmal auch in ein "Gegeneinander" aus. "Dabei sollte das Gegenteil der Fall sein", appellierte Dr. Clemens Dirscherl an das Publikum. Solidarität müsse nicht nur zwischen Verbraucher und Bauern entstehen, sondern bei den Bauern untereinander. "Demut und Respekt vor dem, was wächst, gerät zunehmend in Vergessenheit. Es ist eine Gnade, ernten zu dürfen. Wir brauchen Bauern, die diese Werte vertreten", schloss er seinen Vortrag.

Wolfgang Guckert, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes, versicherte in seinen Schlussworten, dass "wir die Familie, Nachbarn und Hof mit einbeziehen und Erntedank im eigentlichen Sinn feiern. Wir berücksichtigen nicht nur die kurzfristigen Aspekte", um dann noch - etwas abschweifend vom Gedanken des Erntedankfestes - einige agrarpolitische Probleme anzusprechen.

Als Teil der gesellschaftlichen Solidarität, der sich die ausrichtenden Verbände verpflichtet fühlen, werden die Früchte und das Gemüse des Erntedankaltars an die "Heidelberger Tafel" gespendet. Diese Einrichtung verteilt Lebensmittel, die im Handel, der Gastronomie oder eben bei Veranstaltungen übrig bleiben, an Bedürftige wie Obdachlose, Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger.
Anette Zietsch aus SZ
( 08.10.2007 - 13:36)

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