Aus dem Vereinsleben

"Heranwachsende wollen, dass Eltern ganz klar Position beziehen"
Dr. Jan-Uwe Rogge referierte anschaulich

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Dr. Jan-Uwe Rogge referierte anschaulich über den Themenbereich "Pubertät - Loslassen und Halt geben" beim Förderkreis

Reilingen "Wenn es mir gut geht, geht es meinem Kind auch gut." Als sachkundig und humorvoll wurde der Referent zwar angekündigt, aber in den Gesichtern der Besucher stand Ungläubigkeit geschrieben. Sie waren gekommen, um sich Tipps im Umgang mit ihren pubertierenden Sprösslingen zu holen.

Aber darauf, das sah man den Müttern und Vätern an, darauf waren sie nicht gefasst. Wusste der überhaupt, wovon er sprach, wenn diesen Satz als "Goldene Erziehungsregel" anpries?

Dr. Jan-Uwe Rogge, Buchautor, Publizist, Familien- und Kommunikationsberater war auf Einladung des Förderkreises in der Friedrich-von-Schiller-Schule Reilingen zu Gast, um über das Thema "Pubertät - Loslassen und Halt geben" zu referieren. Mit blumigen Worten und anschaulichen Beispielen brachte er im Verlauf seines Vortrags die Eltern und Lehrer zum Lachen und zum Nachdenken und gab Antwort auf viele Fragen.

"Eltern Pubertierender", begrüßte Jan-Uwe Rogge die Zuhörer in der voll besetzten Aula der Schiller-Schule in Reilingen, "sehen aus wie Sie: Kaputt, fertig, man sieht Ihnen an, dass Sie schon ein paar Jahre erzogen haben."

Entwicklung des Hummers

Rogge vergleicht die Phase der Pubertät mit der Entwicklung eines Hummers: Nachdem sich der Meeresbewohner von seinem zu engen Panzer befreit hat, verkriecht er sich so lange zum Schutz in dunkle stickige Höhlen, bis der Panzer wieder nachgewachsen ist. Auch ein Pubertierender sei äußerst dünnhäutig und verletzlich, seine Höhle ein miefiges Zimmer ohne Sauerstoffzufuhr.

Man könne es Pubertierenden nicht Recht machen, tröstete der Vater eines erwachsenen Sohnes die Erziehungsberechtigten. Sie fänden Eltern "echt ätzend". Tatsächlich aber suchten die Jugendlichen Halt und Klarheit auf ihrem Weg in die Freiheit. Freiheit, die sie einerseits genießen, die ihnen andererseits Angst macht. Deshalb möchten sie vorgelebt bekommen, wie man älter wird. "Aber erwarten Sie nicht, dass Sie dafür geliebt werden", warnte der 58-jährige Fachmann.

Pubertierende brauchten Wurzeln. Nur dann könnten ihnen Flügel wachsen. "Sie wollen geerdete Eltern, ganz sicher keine pädagogische Elfen, die Bachblüten bekifft durch die Wohnung schweben", mahnte Rogge.

Warum alles ausdiskutieren?

Doch Mütter und Väter seien heutzutage krampfhaft bemüht, alles anders zu machen als ihre Eltern: Die Töchter und Söhne verstehen, mit ihnen reden, Probleme ausdiskutieren. "Aber warum?", fragte der Familienberater die Anwesenden.

Seit 15 bis 20 Jahren nämlich beobachte er eine verstärkte Hinwendung von Jugendlichen zu ihren Großeltern oder anderen älteren Menschen. Seine Erklärung: "Die stehen für gelebtes Leben, Eltern hingegen für ‚gelabertes Leben'." Erziehung bedeute aber auch Beziehung, sei eine Begleitung ins Leben. Ziehe man sich aus der Erziehung zurück, sei das gleichbedeutend mit dem Rückzug aus der Beziehung. "Ein guter Vater ist wie ein guter Mittelstürmer: Der geht dahin, wo's weh tut."

Der Körper als Schlachtfeld

Während der Pubertät sei der Körper ein Schlachtfeld, der eine ganze Menge leisten müsse. Das schlage sich aber nicht in den gewünschten Zensuren nieder, besonders nicht in den so genannten Hauptfächern. Studien belegen, dass 40 Prozent der Schüler im Alter von elf bis 14 Jahren um eine Schulnote nachlassen. Daran sei jedoch nicht (unbedingt) der Klassenlehrer schuld.

Aber es gebe auch ein Leben jenseits der Schule, appellierte er an die Eltern. Begleitung ins Leben heiße nicht nur Unterstützung im kognitiv-intellektuellen Bereich, obwohl diese Wahrnehmung an erster Stelle stehe. "Das vermehrte Auftreten von körperlichen Krankheiten wie Bulimie, Magersucht, Adipositas kommt nicht von ungefähr."

Rogge gab den Rat, Pubertierende auch in Fächern zu unterstützen wie Kunst oder Sport-Fächer, die eine andere Ausdrucksform ermöglichen. Erst wenn der Körper wieder im Gleichgewicht sei, folge auch die seelische Balance. "Aber das dauert", mahnte der erfahrene Verhaltenswissenschaftler zu Geduld.

Bis dahin suchten Pubertierende die Herausforderungen, würden mit allen Regeln brechen und sich an der Ritualen ihrer Eltern reiben. "Aber sie müssen lernen, dass man auch etwas ohne Lust erledigen muss", erklärte Rogge. Deshalb sollten Eltern an Ritualen festhalten, die ihnen wichtig seien. Das kann der Sonntagsspaziergang oder ein gemeinsames Mittagessen sein. Das Problem von Pubertierenden sei die Beliebigkeit in der heutigen Zeit, die Entritualisierung und die Belanglosigkeit. "Heranwachsende wollen, dass Eltern ein Stück weit klar Position beziehen."

Von Eltern zu Partnern

Parallel zu dieser Entwicklung bei ihren Kindern setze auch bei den Eltern wieder eine "Pubertätsphase" ein, wie sich Rogge ausdrückt. Die hätten nämlich oft ihre Vornamen vergessen, würden sich nur noch als Vater und Mutter wahrnehmen. Das Dachgeschoss sei ausgebaut, jedes Familienmitglied halte sich überall auf. "Manche nennen es ‚Großfamilie'", schmunzelte der Referent. "Ich sage dazu ‚Terrorgemeinschaft'."

Jetzt sei die Zeit gekommen, die Kinder loszulassen und den Schritt zu machen von Eltern wieder hin zu Partnern. "Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen. Sie ziehen aus und kehren zurück. Und wenn bei Besuchen das Gefühl haben, die Alten kommen gut miteinander aus, fliegen sie wieder mit einem guten Gefühl aus und kommen an Weihnachten gerne und freiwillig zurück." Man müsse den Blick auf sich richten und den Kindern zeigen: "Wenn's mir gut geht, geht's auch euch gut. Ein Weg der sehr produktiv, aber nicht einfach ist", ermunterte Dr. Jan-Uwe Rogge die Zuhörer. az aus SZ, Fotos svs
( 19.12.2005 - 11:43)

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