Reilingen im Wandel der
Zeit - Ein Rückblick im Zeitraffer
Die Bodenfunde in und um
Reilingen beweisen, dass unsere Heimat einen sehr alten Kulturboden besitzt. Der Fund im
Elsenztal im Jahr 1907 bestätigt unsere Annahme: Der sogenannte homo
heidelbergensis" wird als der bisher älteste bekannte Menschentyp in Europa
betrachtet. Aber auch die Bodenfunde um Reilingen zeigen, dass
der Raum um unsere
Gemeinde, lange bevor die ersten schriftlichen Quellen nachweisbar eine Ansiedlung
erwähnen, besiedelt wurde. Hierauf weist auch der sensationelle Fund in einer Reilinger
Kiesgrube im Gewann Spies hin. 1978 wurde dort das Schädelfragment eines auf etwa 300.000
Jahre alt geschätzten Frühmenschen geborgen, des Homo erectus reilingensis".
Der Name unserer Gemeinde wird
erst spät, 1286 als villa reitling", 1287 als Rodelingen, genannt. Möglich
ist die Ableitung von einem Personennamen. Lange bevor die Römer unsere Heimat
beherrschten, saßen hier die Kelten. Die Römer legten aus strategischen Gründen
Straßen an. Zwei solcher Römerstraßen" führten durch die Reilinger
Gemarkung. Im engen Zusammenhang damit muß die Festung Wersau gesehen werden, deren
Geschichte für unsere Heimatgemeinde so sehr bestimmend wurde. Zum Schutz und zur
Verteidigung bauten die Römer Tiefburgen, die das eroberte Territorium sichern sollten.
Wahrscheinlich ist die Festung Wersau (eine Wasserburg auf der Insel zwischen Kraichbach
und Kehrgraben, von der heute leider keine Reste mehr vorhanden sind) als römische
Tiefburg entstanden und wegen ihrer günstigen strategischen Lage nach ihrer Zerstörung
wieder aufgebaut worden. Urkundlich wird die Burg erstmals 1236 erwähnt.
Das Imperium Romanum wird in der
Völkerwanderungszeit von germanischen Stämmen überrannt. Die Alemannen, und später die
Franken, beherrschen unsere Heimat. Die Franken werden seßhaft und gründen Ortschaften.
Ob zu dieser ältesten Schicht der fränkischen Besiedlung auch Reilingen gehörte, ist
sehr fraglich. Jedenfalls kann man aus den späteren Besitz- und Flurverhältnissen ein
höheres Alter nicht ableiten.
Wenden wir uns wieder der
Festung Wersau zu. Wahrscheinlich kam sie durch eine Schenkung Kaiser Heinrich III., der
1056 den alten Königswald Lußhardt dem Bistum Speyer überließ, an den Speyerer
Bischof. Zum Herrschaftsbereich der Burg gehörten auch die Dörfer Reilingen und
Hockenheim, die somit in den Besitz der Speyerer Bischöfe übergingen. Die Bischöfe
setzten Lehnsleute, die Schenken von Wersau, zur Verwaltung ein. Im Laufe der Zeit -
leider schweigen hier die bekannten Quellen - scheint die Burg ganz in den Besitz des
Ministeraliengeschlechts übergegangen zu sein. Nur so ist es nämlich zu erklären,
dass 1286 Eberhard von Wersau die Hälfte der Burg an den Bischof von Speyer verkaufte. Dieser
konnte die verlangte Summe nicht zahlen und gab so sein Erwerb als Pfand an den
Pfalzgrafen Ludwig II. weiter. Nachweisbar ist, dass
Ludwig II. 1286 die andere
Burghälfte von Verwandten der Schenken von Wersau gekauft hatte. Urkundlich werden
Reilingen und Hockenheim als Zubehör von Wersau" genannt. Wersau diente dem
Pfalzgrafen als Pfandobjekt und zur Verschreibung als Witwengut. Trotz häufigen
Besitzwechsels blieb Wersau (formal) ein Lehen der Bischöfe von Speyer. Im Jahr 1386 war
die Burg Wersau Schauplatz eines für die deutsche Kulturgeschichte bedeutsamen
Ereignisses. Damals übergaben Gesandte des Papstes Urban VI. am 24. Juni die päpstliche
Erlaubnis zur Errichtung eines Generalstudiums. Damit begründete Pfalzgraf Ruprecht I.
(1353-1390) die Universität Heidelberg.
Kriegerische
Auseinandersetzungen - entfacht durch die sogen. Mainzer Stiftsfehde (1461-1463) -
brachten Wersau und damit Reilingen und Hockenheim endgültig zur Kurpfalz. Unsere
Gemeinde war der Kurpfalz mit der Hohen und Niedrigen Obrigkeit unterworfen und gehörte
von der Zeit um 1500 zur Kirchheimer Zent. Die Fronpflicht des Dorfes bestand in der
Bestellung der herrschaftlichen Güter, die zur Burg Wersau gehörten.
Im 16. Jahrhundert zerfiel die
Burg Wersau. Der Landshuter Erbfolgekrieg 1504/05) und die darauf folgenden Bauernkriege
waren hauptsächlich dafür verantwortlich. Ein zweites Schloß, notdürftig wieder
aufgebaut, wurde im Dreißigjährigen Krieg wieder zerstört. Im Pfälzer Erbfolgekrieg
haben die französischen Truppen unter Melac Wersau 1689 total abgebrannt.
Über Schicksale, die Reilingen
in den großen Kriegen des 17. Jahrhunderts durchgemacht hat, wird fast nichts berichtet.
Wir haben aber insofern eine Erklärung, dass erwähnt wird, dass der Ort die
Kriegsereignisse und Folgen mit Wersau teilt. So wurde auch unser Ort 1689 weitgehend
niedergebrannt. Das Schloß Wersau wurde nicht wiederaufgebaut; 1764 erwarb Reilingen die
Ruine.
Ein eigenes Siegel von Reilingen
ist erst von 1719 an bekannt. Nach ihm wurde das Gemeindewappen gestaltet: In Blau ein
silberner Hasenkopf, oben links drei achtzackige Sterne. Mit dem pfälzischen Oberamt
Heidelberg kam unsere Gemeinde 1802/03 in badischen Besitz und ging 1803 im
neugeschaffenen Bezirksamt Mannheim, dem Vorläufer des späteren Landkreises, auf.
Eine kurze Betrachtung des
kirchlichen Lebens zeigt uns, dass Reilingen ursprünglich zur Pfarrei Hockenheim
gehörte. 1446 errichtete die Gemeinde eine neue Kapelle zu Ehren des heiligen
Wendelin. 1498 wurde diese Kapelle zur Pfarrkirche erhoben. Als pfälzische Pfarrei
erlebte unsere Gemeinde die häufigen Konfessionswechsel innerhalb der Kurpfalz als
Auswirkungen der Reformationszeit. Die katholische Kirche fiel bei der pfälzischen
Kirchenteilung (1705) den Reformierten zu. 1788 konnten die Katholiken ein eigenes
Gotteshaus errichten. Die heutige Kirche der katholischen Gemeinde wurde 1901/05 im
neugotischen Stil erbaut. Die heutige evangelische Kirche wurde 1819/20 im
spätklassizistischen Stil vollendet.
Nachrichten, die die beiden
Weltkriege betreffen, sind nur spärlich vorhanden. So wird über das Ende des Zweiten
Weltkrieges nur berichtet, dass die Amerikaner am 1 April 1945 unsere Gemeinde ohne
Gegenwehr besetzten.
Betrachten wir zum Schluß die
Entwicklung unserer Gemeinde in wirtschaftlicher, sozialer und demographischer Sicht. Im
landwirtschaftlichen Bereich zeichnet sich Reilingen durch Sorderkulturen aus. Diese
Bereiche sind der Tabak- und Spargelanbau. Der fortschrittliche Kurfürst Carl Theodor
(1724-1799) hob 1769 die Leibeigenschaft auf. Seit dieser Zeit entwickelten sich die
Reilinger Familienbetriebe. Unsere Gemeinde war damals ein reines Bauerndorf. Die
Hugenotten brachten der Kurpfalz und damit Reilingen den Tabakanbau. In der Mitte des 19.
Jahrhunderts erntete man 1500 bis 2000 Zentner Tabak pro Jahr. Noch heute zählt unser Ort
zu den größten Tabakanbaugemeinden Nordbadens.
Seit 1890 hat sich neben dem
Tabak immer mehr der Spargelanbau durchgesetzt. Weitere Entwicklungsstadien sind die
Zentralversorgung mit elektrischer Energie in den Jahren 1899 bis 1901 und die allgemeine
Wasserversorgung 1927. Mit dem Jahr 1953 begannen Kanalisationsarbeiten, die seit 1959
vollständig abgeschossen sind. Die Friedrich-von-Schiller-Schule als Grund- und
Hauptschule wurde 1965 errichtet, ein Erweiterungsbau 1976. Heute ist die Schule zugleich
Werkrealschule und ermöglicht den mittleren Bildungsabschluß. Im März 1971 wurde eine
Mehrzweckhalle mit einem Spielfeld von 20 x 40 m, zwei Gymnastikräumen und einem
Konditionsraum mit zusammen 1.800 qm Spielfläche, eine Bundeskegelbahn sowie Gasträume
fertiggestellt. Im Zuge der Verwaltungsreform blieb unsere Heimatgemeinde ab 1975
selbständig und bildet mit Hockenheim, Neu- und Altlußheim eine Verwaltungsgemeinschaft.
1979 wurde ein
Feuerwehrgerätehaus gebaut und 1986 ein neuer Festplatz im künftigen Spiel-, Sport- und
Freizeitzentrum Nachtwaid eingerichtet. Zentrum der kulturellen Aktivitäten ist seit 1986
das Dorfgemeinschaftshaus mit Heimatmuseum. Hierzu wurde das älteste Reilinger Anwesen
(erstmals 1435 urkundlich erwähnt) von Grund auf restauriert. Eine 1987/88 erstellte
Sporthalle bietet weitere 1500 qm Sportfläche, 900 Sitzplätze und eine Tiefgarage.
Reilingen verbindet seit
1989 eine Gemeindepartnerschaft mit dem französischen Ort Jargeau an der Loire.
Fernseh- und Rundfunkempfang per
Kabel sind in Reilingen seit Ende 1991 in sämtlichen Anwesen möglich; ebenso eine
Energieversorgung mit Erdgas. Schwer getroffen wurde das Kultur- und Sportgeschehen der
Gemeinde durch den katastrophalen Großbrand der Fritz-Mannherz-Mehrzweckhalle am 17.
September 1991. Der Wiederaufbau konnte 1994 abgeschlossen und die neue erstellte Halle
mit erweitertem Foyer und einem Bühnenanbau am 1. September ihrer Bestimmung übergeben
werden.
Bernhard Schmehrer