Aus dem Rathaus

Welle wird zum kaum kontrollierbaren Selbstläufer

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Ein gewöhnliches Gymnasium. Ein ganz normaler Oberstufenkurs. Eine gängige Projektwoche zum Thema "Staatsformen". Ein gelungener Selbstversuch? Keineswegs! Ehe sich "Schmalspurpädagoge" Rainer Wenger versieht, schwappt die anfangs harmlose Wellenbewegung seines Autokratiekurses über, reißt unzählige Mitläufer mit, so dass eine sanfte Brandung aussichtslos wird.

Massen werden manipuliert
Eine wahre Begebenheit, die Regisseur Dennis Gansel mit der Neuverfilmung von "Die Welle" aufgreift. Das amerikanische Klassenzimmerexperiment "The third wave" von 1967 auf das heutige Deutschland übertragen, wo man glaubt, dass Faschismus keine Chance mehr hat, war im Pumpwerk Programmpunkt der Sicherheitswoche. Während Schulklassen dort bereits an den Vormittagen mit Medienpädagoge Klaus-Dieter Felsmann "Kroko", die Geschichte einer Ganganführerin, auf der Leinwand analysierten, war bei der Abendveranstaltung die Bevölkerung angesprochen, sich den deutschen Spielfilm anzuschauen und im Anschluss mit dem Berliner Filmkritiker darüber zu sprechen. "Nicht schon wieder Drittes Reich", die Schüler des Autokratiekurses des lockeren Rainer Wenger (Jürgen Vogel) sind angeödet.

"Ihr seid also der Meinung, dass eine Diktatur in Deutschland nicht mehr möglich wäre?" - "Auf keinen Fall. Dazu sind wir viel zu aufgeklärt." Sind sie das wirklich? Wenger startet ein Experiment, um zu demonstrieren, wie einfach es heute noch ist, Massen zu manipulieren.

"Macht durch Disziplin" ist die erste Lektion. Zunächst werden die neuen Verhaltensregeln, wie knappe Antworten oder das Aufstehen beim Reden, von den Schülern belächelt. Doch auch die zweite Lektion "Macht durch Gemeinschaft", mit der Cliquen aufgebrochen und optische Uniformität eingeführt wird, wird von der Gruppe ohne zu zögern hingenommen. Nur Karo (Jennifer Ulrich), die bislang im Mittelpunkt stand und in der Gemeinschaft unterzugehen droht, und Individualist Mona (Amelie Kiefer) beginnen das ungewöhnliche Projekt zu überdenken und steigen aus.

Mit der dritten Botschaft "Macht durch Handeln" wird die "Welle" geboren. Außenseiter Tim (Frederick Lau), Ausländer Sinan, die eingeschüchterte Lisa und Karos Freund Marco (Max Riemelt), alle, die bislang nur wenig Aufmerksamkeit bekommen haben, machen sich mit einer Flut an Ideen daran, die "Welle" zu propagieren, die zum Selbstläufer wird.

Der Missbrauch des Experiments beginnt: Nicht-Welle-Mitglieder werden unterdrückt, das Logo in der ganzen Stadt versprüht, Außenseiter Tim als Held gefeiert, der seine Gruppe mit einer Waffe verteidigt.

Das Projekt gerät aus den Ufern. Wenger hat die Sache nicht mehr unter Kontrolle. "Du genießt es, wie sie dich vergöttern", erkennt seine Frau Anke (Christiane Paul). Erst Gewalttaten gegen Schüler, die Widerstand leisten, rütteln den Lehrer wach. Bei einer Vollversammlung klärt er auf: "Habt ihr gemerkt, was hier passiert ist. Das war genau das: Faschismus. Wir sind zu weit gegangen. Die Sache ist hier zu Ende." Doch die Situation eskaliert. Für Tim bricht eine Scheinwelt zusammen, er zieht seine Pistole, schießt einen Mitschüler an und erschießt sich schließlich selbst.

"Generation fehlt Zeitgeist"
"Ich bin erschrocken darüber, wie viel Einfluss man nehmen kann und wie schnell die Sache zum Selbstläufer geworden ist", so eine Kinobesucherin beim anschließenden Gedankenaustausch. "Das Projekt hätte viel früher abgebrochen werden müssen, schon da, als der Welle-Gruß eingeführt wurde", verkündet eine andere.

"Den Schülern hat allen etwas gefehlt, wie es Dennis anfangs gesagt hat: Was unserer Generation fehlt, ist ein eigener Zeitgeist", erklärt sich ein Besucher das Handeln der Masse. Eine Idee, die sie alle verband: Egal ob Sozialschwache, Hedonisten, Ausländer, Übergewichtige oder Außenseiter - alle wurden sie von der "Welle" getragen, bis sie schließlich mit ihr untergingen.
Vanessa Schäfer aus SZ
( 11.07.2008 - 07:26)

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