Ortsgeschichte

Die "Soze" und "Pfaffebuwe"

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Warum gilt gerade Altlußheim als sozialdemokratische Hochburg? Wieso haben in Reilingen schon jeher die konservativen Kräfte die Nase vorn? Neulußheim eine rechtslastige Gemeinde? Und was ist mit Hockenheim? Seit über 100 Jahren dürfen die Bürger auch in den vier Kommunen durch mehr oder minder demokratischen Wahlen das öffentliche Leben mitbestimmen.

Und genau so lange bestimmt auch die Politik die Diskussionen am Arbeitsplatz, in Vereinen und an den Stammtischen. Je nach politischer Anschauung hatte dabei jeder eine passende Antwort parat. Wohl aber die wenigsten haben sich jemals Gedanken darüber gemacht, wieso und warum in den vier Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft gerade so gewählt wurde. Dass die Politik und das Wahlverhalten der Menschen von äußerlichen Stimmungen und Geschehnisse beeinflusst werden, ist bekannt und eigentlich nichts Neues. Wohl aber die intensive Auseinandersetzung mit den historischen und politischen Traditionen, dem Wahlsystem, den Konfessionen, den sozialen Strukturen und der Persönlichkeiten.

Der Seminarkurs "Lokale Geschichte/Politik" der Klasse 12 des Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums hat sich in einer Projektarbeit ausführlich mit dem Werden der deutschen Demokratie am Beispiel der Region Hockenheim beschäftigt und ist dabei zu bisher wenig bekannten oder kaum beachteten Ergebnissen gekommen. Schwerpunktmäßig wurden alle Landtagswahlen zwischen 1905 und 1929 im Großherzogtum und späteren Freistaat Baden untersucht und analysiert. Die politische Entwicklung in der Stadt Hockenheim sowie den Gemeinden Altlußheim, Neulußheim und Reilingen kann jetzt ebenso deutlich dargestellt werden wie das bisher wenig erforschte Wählerverhalten in den vier Gemeinden.

Überraschend dabei, dass das heimatliche Umfeld nicht nur sachlich, sondern auch emotional die lokalen Ereignisse und damit auch die Wahlen viel entscheidender mitprägt haben als bisher angenommen. In der noch medienarmen Zeit waren die Konfessionen ein absolut bestimmendes Moment und prägten die Denkrichtung der Menschen.

Diese hatten meist eine geringe Bildung und fristeten zumeist als Tagelöhner ihr Dasein. Vor allem in Neulußheim lebten die Ärmsten der Armen, die teilweise aus ganz Baden nach dorthin verfrachtet wurden. Die Zuwanderung führte zu Spannungen, hatte aber mit Ausländerfeindlichkeit nichts zu tun. Die Ablehnung war zumeist in der Angst vor noch mehr Armut begründet. "Hab ich ein Butterbrot, bin ich weniger radikal", so die frühe Erkenntnis.

In Hockenheim gab es um 1900 noch über 1 100 Bauern, jedoch hatten die meisten von ihnen nur geringen Grundbesitz. So mussten viele in den Zigarrenfabriken den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen. Dass sich im katholisch geprägten Hockenheim im Vergleich zum nahezu absolut evangelischen Altlußheim eine gespaltene Arbeiterschaft entwickelte, lag vor allem an einer stark christlich, vor allem katholisch geprägten Arbeiterschaft.

Die Folge war eine "gespaltene Stadt", gespalten in der sozialen Zusammensetzung und in der Konfession. Damit gab es alles doppelt: Gesangs- und Sportvereine, Geschäfte und Gasthäuser, Handwerker und Zeitungen. Unauffällig und ruhig das Leben im konservativ-katholisch dominierten Reilingen, das nur dann auffiel, wenn es im Umgang mit Nachbargemeinden zu Übergriffen und Brutalitäten kam. Schlägereien an Kerwe oder bei Sportveranstaltungen waren normal, vor allem dann, wenn "die Soze" auf die "Pfaffebuwe" stießen.

Noch spielten die Parteien keine große Rolle, es waren die Persönlichkeiten die bei den Wahlen dominierten. Der Besitzer einer Zigarrenfabrik, der für Lohn und Arbeit sorgte, wurde zur damaligen Zeit lieber gewählt als ein unbekannter Parteifunktionär. Es wurde nach dem Milieu gewählt, so die Erkenntnis der Forschungsarbeit. og aus SZ
( 28.04.2006 - 09:48)

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