Ortsgeschichte

Eine Alt-Reilinger Einrichtung ist nicht mehr

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Teil II

Nur wenigen Eingeweihten war es bewusst, dass mit dem Tod von Frau Susanna Klotz geb. Klein, welche am vorletzten Freitag im gesegneten Alter von 91 Jahren beigesetzt wurde, ein Stück Alt - Reilinger Geschichte ins Grab gesunken ist. Es war allerdings nicht die Persönlichkeit von Frau Klotz, die Geschichte machte, nein, sie lebte zeitlebens zurückgezogen und bescheiden, sondern eine Einrichtung, die an ihre Person geknüpft war. Frau Klotz war die letzte Bürgerin von Reilingen, die Entschädigung aus der Allmendablösung erhielt.

Wie verhielt es sich nun mit dem Bürgernutzen?

In Reilingen wurden in vier Gewannen Grundstücke zugeteilt, daneben gab es jährlich zwei Ster Brennholz aus dem Gemeindewald, das so genannte " Gabholz ". I m Gewann " Holzrott " waren 141 Ackergrundstücke in einer Größe zwischen 5 - 7 a , im Gewann" Nachtwaid " teils Acker-, teils Wiesengelände zwischen 20 und 26 a, im Gewann " Bruch" 118 Wiesengrundstücke von ca. 20 a und in der " Lach" noch 88 Lose Acker von 3 ,5 a vorhanden. Zuerst erhielt der Bürger also ein Holzrottstück. Er musste natürlich so lange warten, bis die vor ihm im Bürgerbuch eingetragenen Berechtigten das Zeitliche gesegnet hatten. Es soll damals schon sehr Gewitzte gegeben haben, die genau 'Bescheid wussten, und sich während des Jahres, aufgrund der eingetretenen Sterbefälle selbst ausrechneten, welches Los ihnen auf Jahresende zufällt.
Unvergessen wird wohl auch den älteren Mitbürgern die Melodie, mit dem unterlegten Text sein, die früher oft gesungen wurde: " De Vadda kriegt e Holzrottstück ".

Zu einer Zeit, als das badische Musterländle noch überwiegend landwirtschaftlich strukturiert war, bedeutete die kostenlose Bewirtschaftung von rund 50 a Acker und Wiesen eine erhebliche wirtschaftliche Besserstellung. Deshalb erfanden findige Köpfe gleich wieder eine Art Steuer. Mit der Zuteilung eines Loses in der" Nachtwaid " musste der Bürger einen geringen Betrag als" Bürgergenussauflage" an die Gemeinde entrichten. Starb ein verheirateter Bürger, so blieben seiner Witwe alle Rechte aus dem Bürgernutzen erhalten.
Die Zuteilung freigewordener Grundstücke wurde alljährlich im " Allmendrangbuch" eingetragen und beurkundet. Der älteste Eintrag stammt von anno domini 1823 .
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Schreiben der Regierung des Unterrheinkreises in Mannheim vom Jahre 1846. In diesem wird verwiesen auf einen" unbestrittenen Zustand" am 1. Januar 1831.
Anscheinend wurden die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt durch die Gesetzgebung garantiert.
Die wirtschaftliche Entwicklung brachte den Rückgang und zuletzt das Ende des Bürgernutzens. Bereits 1921 sind die Bruchwiesen umgebrochen worden, um das Gelände als Ackerland zu nutzen und damit größere Erträge zu erwirtschaften. 0 ie Allmendberechtigten erhielten einen Ablösungsbetrag von jährlich 12,-- DM. Dieser Versuch schlug allerdings fehl, denn der Boden war zu feucht und sumpfig. Nach wenigen Jahren mussten die Grundstücke wieder zu Wiesen umfunktioniert werden. An der Geldablösung änderte sich jedoch nichts mehr.
Aus forstwirtschaftlichen Gründen wurde ab 1938 kein "Gabholz" mehr an die Bürger ausgegeben. Mit der zunehmenden Mechanisierung erwiesen sich die Allmendlose als zu klein und damit unwirtschaftlich. Hinzu kam, dass die Gemeinde sich vergrößerte.
Im Jahre 1951 wurde ein Bürger schon 70 Jahre alt, bis er ein Los in der Holzrott erhielt. Viele bewirtschafteten die Grundstücke nicht mehr selbst, sondern verpachteten sie weiter. Die Allmende hatte damit ihren Sinn verloren. Der Gemeinderat fasste deshalb den Entschluss, den Bürgernutzen abzulösen. Entsprechend den gesetzlichen Vorschriften mussten die im Bürgerbuch eingetragenen Bürger hierzu ihre Zustimmung erteilen. Falls bei der Abstimmung nicht die Mehrheit für die Ablösung stimmte, war eine zweite Abstimmung erforderlich. Bei dieser wurden die Stimmenthaltungen als Ja-Stimmen gewertet.
Am 30. April 1951 fand also die erste Entscheidung statt.
Von 721 stimmberechtigten Bürgern stimmten 150 mit Ja, 311 mit "Nein", 410 Bürger enthielten sich der Stimme. In der zweiten Abstimmung war deshalb das Ergebnis schon vorauszusehen. Nur 259 Bürget nahmen teil, hierbei gab es 57 Stimmen für die Ablösung, bei 202 Gegenstimmen. Die nicht erschienenen 462 Bürger ergaben zusammen mit den 57 Befürwortern eine eindeutige Mehrheit. Diejenigen Bürger oder Bürgerwitwen, die bereits im Besitz von Allmendgrundstücken waren, erhielten seitdem eine jährliche Entschädigung von 36,-- DM. Eine besondere Stellung unter den Bürgern nahmen früher die jüdischen Mitbürger ein. Der Bericht wäre unvollständig, würde er hierauf nicht eingehen. Ursprünglich waren die - damals in den Akten als Israeliten bezeichnet - Juden nur so genannte Schutzbürger. Trotzdem sie die badische Staats - oder die Reichsbürgerschaft besitzen konnten, waren sie nicht als Gemeindebürger zugelassen. Wann sich dies geändert hat, konnte aus den Unterlagen nicht entnommen werden. Im Buch von 1871 ist bereits unter der Ziffer 5 ein Jacob Levi, Handelsmann, eingetragen. Er wurde am 14. Mai 1824 als Bürger aufgenommen.
In den Akten befindet sich nun ein notariell beurkundeter Vertrag vom 28. März 1848 zwischen den israelitischen Bürgern - es waren 17 an der Zahl - und der Gemeinde Reilingen. In dieser Urkunde heißt es, dass Unruhen wegen der Gleichstellung von Juden und Christen vorausgegangen waren. Um Frieden und Ruhe in der Gemeinde zu erhalten, erklärten die jüdischen Mitbürger ihren Verzicht auf die Allmendnutzung.
Allerdings scheint dieser Vertrag nicht rechtswirksam geworden zu sein, denn es fehlt jede Bestätigung einer vorgesetzten Behörde. Auch ist aus der Allmendverteilung dieser Jahre keine entsprechende Änderung ersichtlich und im Jahre 1851 rückte ein jüdischer Bürger, namens Abraham Levi in den Bürgernutzen ein. Ab 1. Januar 1936 wurde dann, aufgrund einer Reichsverordnung, den Juden das Reichsbürgerrecht, und damit das Recht auf Allmendnutzung entzogen. Es traf damals noch zwei jüdische Bürgerswitwen, die in Reilingen wohnten.
Neben den Rechten hatten die Bürger jedoch auch Pflichten. Sie bestanden in so genannten „Frohndleistungen". Im wesentlichen waren Fuhrleistungen durchzuführen. So findet sich ein Schriftwechsel von 1854, wo auf diese Pflicht hingewiesen wird. Es waren besonders Steine zum Bau von Wegen zu fahren. Der Gemeinderat musste sich 1863 mit zwei Bürgern befassen, die diese Fuhrleistungen verweigerten. Von einem Strafantrag sah man jedoch damals ab. Auch in der heute geltenden Gemeindeordnung findet man in § 10 noch die Verpflichtung für die Einwohner und Bürger " Hand - und Spanndienste" zu leisten.
Das alte badische Bürgerrecht gehört nun in Reilingen der Vergangenheit an. Nach der Ablösung der Allmende 1951 währte es noch 28 Jahre. Durch den Tod von Frau Klotz ist der Bürgernutzen Geschichte geworden. Bald wird die Erinnerung an diese Bürgereinrichtung verschwunden sein.

Ludwig Müller, Gemeindeamtsrat

Dieser Bericht wurde 1979 in den Reilinger Nachrichten veröffentlicht.
( 26.02.2007 - 09:47)

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