Aus dem Rathaus

Der kommunale Finanzkollaps droht dem Rhein-Neckar-Kreis

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Für das Jahr 2005 droht den Städten und Gemeinden eine Kreisumlagenerhöhung wie noch nie in der Geschichte des Rhein-Neckar-Kreises. Nachdem für das laufende Jahr bereits ein Plus um vier Punkte der Steuerkraftsummen der Gemeinden notwendig geworden war, um den teilweise umlagefinanzierten Kreishaushalt auszugleichen, fehlen dann, trotz aller bisherigen Sparmaßnahmen von Kreistag und Verwaltung, voraussichtlich 40,7 Millionen Euro. Das bedeutet weitere 9,1 Prozentpunkte Kreisumlage, die aus den schon sehr strapazierten Gemeindesäckeln an den Kreis zu überweisen wären. "Das ist nicht hinnehmbar", stellten jetzt unisono die Fraktionsvorsitzenden im Kreistag, Bruno Sauerzapf (CDU, Leimen), Helmut Beck (SPD, Sinsheim), Hans-Ulrich Sckerl (Bündnis 90/Die Grünen, Weinheim), Dr. Jürgen Criegee (FDP, Walldorf) und Hans Zellner (Wilhelmsfeld), der auch Vorsitzender des Verbandes der baden-württembergischen Bürgermeister ist, für die FWV-Fraktion fest. In einer Pressekonferenz, der ersten gemeinsamen in der Geschichte des Kreises überhaupt, machten sie dafür hauptsächlich die negativen Auswirkungen der Umsetzung von Reformgesetzen auf Bundes- und Landesebene für die Kreise und Gemeinden verantwortlich, die dem Kreis eine "absolut prekäre finanzielle Lage bescheren." Sie forderten eindringlich, das von Bundestag und Bundesrat bereits verabschiedete Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) umgehend zu überprüfen und sicher zu stellen, dass die versprochene finanzielle Entlastung der Kreise und Kommunen auch tatsächlich umgesetzt wird.

Die politische Diskussion um das noch nicht verabschiedete sog. Optionsgesetz über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe habe in der letzten Zeit das eigentliche Problem der nachhaltigen Belastung der Kommunen durch das im Vermittlungsausschuss verabschiedete Hartz IV-Gesetz in den Hintergrund treten lassen, bemängelten die Fraktionsvertreter. Denn allein 25,7 der fehlenden knapp 41 Millionen Euro resultieren aus den dramatischen Entwicklungen im sozialen Sektor. Neben einem Mehraufwand für die Hilfe zur Pflege von einer Million, für Sozialhilfe von 1,2 Millionen und für die Jugendhilfe von 2,2 Millionen, verschlingt Hartz IV mit 21,3 Millionen den Löwenanteil. "Und das, obwohl den Kommunen eine finanzielle Entlastung durch die Gesetze in Aussicht gestellt worden war", unterstreichen die Fraktionssprecher. Wie es dazu kommen konnte? Auch da sind sie sich einig: Der Kompromiss wurde mit heißer Nadel gestrickt und auf der Basis falscher Zahlen. "Deshalb werden wir im Rhein-Neckar-Kreis nun bestraft, weil wir mit großen Anstrengungen unsere Sozialhilfeausgaben geringer halten konnten, etwa durch Hilfen zur Arbeit oder frühzeitig das Einstiegsgeld und die Pauschalierung eingeführt haben. Wir können den Bürgerinnen und Bürger, die bisher in wirklich guten Händen waren, nicht mehr vermitteln, dass sie durch das Hartz IV- Gesetz (Sozialgesetzbuch II) in zweistelliger Millionenhöhe bluten müssen."

Das beschlossene Gesetz will nämlich die Kreise von den Kosten der Sozialhilfe für Arbeitssuchende entlasten, im Gegenzug sollen diese aber die Unterkunftskosten für die Bezieher des neuen sog. Arbeitslosengeldes II, der früheren Arbeitslosenhilfe, sowie die Kosten für die verbleibenden Sozialhilfeempfänger übernehmen. Das Wohngeld für die genannten Gruppen fällt weg. Dadurch hat auch das Land Baden-Württemberg erhebliche Einsparungen. Die Fraktionsvorsitzenden erwarten, dass das Land diese Einsparungen an die Kreise und kreisfreien Städte weiterreicht. Sie erwarten weiter, dass die deutlich gewordenen Unterschiede in der Belastung der Stadt- und Landkreise über den Finanzausgleich zusätzlich ausgeglichen werden. Das ist für den Rhein-Neckar-Kreis von besonderer Bedeutung. Für ihn führt die Systematik dieser Verlagerung aber zum genauen Gegenteil, da hier die Zahl der heutigen Arbeitslosenhilfebezieher um 2,5 Mal höher liegt als die der Sozialhilfeempfänger. Andere Stadt- und Landkreise haben viel mehr Sozialhilfeempfänger, die sie künftig an das Arbeitsamt abgeben können und sich dadurch finanziell entlasten. Dem Rhein-Neckar-Kreis bürden aber die hohen Unterkunftskosten der bisherigen und neuen Arbeitslosenhilfebezieher, die heute noch Bund und Land tragen, ab 2005 auf Dauer zusätzlich 21,2 Millionen Euro auf, die die Städte und Gemeinden über die Kreisumlage zu zahlen hätten.

Die im Kreistag vertretenen Fraktionen sehen Kreis und Gemeinden als "Schicksalsgemeinschaft, deren finanzielle Leistungsfähigkeit jetzt endgültig stranguliert wird, wenn keine Änderung mehr erfolgt." Deshalb machen sich Beck, Sauerzapf, Dr. Criegée, Sckerl und Zellner zum Wortführer der Städte und Gemeinden und lehnen "in uneingeschränkter Einmütigkeit" diese im neuen Sozialgesetzbuch II getroffenen Regelungen in seiner jetzigen Fassung grundsätzlich ab." Sie fordern, da diese Mehrbelastung die kommunalen Haushalte unweigerlich in den Ruin treibt, neue, vergleichbare Berechnungen bundesweit und realistische Schätzungen, wie sich die Zahl der künftigen Bezieher des Arbeitslosengeldes II entwickeln. Auf jeden Fall müssten die den Gemeinden zugesagten finanziellen Entlastungen von bundesweit 2,5 Milliarden Euro auch in den Kassen der Kreisgemeinden ankommen, denn sonst wäre es auch unmöglich, die vom Bund angestrebte Verbesserung der Betreuung von Kindern unter drei Jahren zu schaffen.

Einzelne Kreise wie der Rhein-Neckar-Kreis leiden besonders stark unter den finanziellen Umschichtungen durch Hartz IV. Zwingend ist, dass sich die Bundes- und Landtagsabgeordneten noch einmal eingehend mit dem Problem beschäftigen und, sollte kein tragbarer Kompromiss gefunden werden, sich für ein Verschieben der Zusammenlegung beider Hilfearten einsetzen. Deshalb wollen die Kreis-Verantwortlichen zusammen mit Landrat Dr. Jürgen Schütz auch noch einmal dringend das Gespräch mit den Abgeordneten suchen. Denn gibt es keinen sauberen Ausgleich, dann müssen die Lasten von dem getragen werden, der das Problem verursacht und diese falsche Mischkalkulation zugrunde gelegt hat. Und das ist der Bundesgesetzgeber. Mit trostreichen Versprechungen können wir uns nicht mehr abgeben, wir wollen ein schnelles und nachrechenbares Ergebnis, so die Fraktionsvorsitzenden.

Damit die Kreise und Gemeinden landes- und bundesweit ab 2005 finanziell nicht in eine existenzbedrohende Situation geraten, ist eine umfassende und baldige Gemeindefinanzreform unverzichtbar. Die Kommunen müssen wieder Investitionen ohne erdrückende Verschuldung tätigen können. Kommunale Finanzpolitik muss verlässlich und berechenbar bleiben. Wir brauchen eine Gesetzgebung, die Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden wieder Perspektiven gibt, Strukturen zur erhalten. Bund und Länder haben trotz der erkennbaren Finanznot in den vergangenen Jahren weiter ausgabenwirksame Gesetze beschlossen bzw. Anschubfinanzierungen angeboten, Dies gilt beispielsweise für die Eingliederungshilfe für Behinderte, die verlässliche Grundschule, die Ganztagesschule, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren, Grundsicherung etc. etc. Alles sinnvolle Vorhaben, die die Kreise und Kommunen aber nicht finanzieren können. Wir erwarten daher, dass drei Forderungen kurzfristig erfüllt werden:

1. Bund und Länder dürfen keine ausgabenwirksame Gesetze mehr beschließen, die die Kreise und Gemeinden dann finanzieren sollen.

2. Das Konnexitätsprinzip - wer eine Leistung bestellt, muss sie auch finanzieren - muss in das Grundgesetz aufgenommen werden.

3. Grundlegende Reformen sind geboten, die Kreise und Kommunen auf Dauer finanziell entlasten.

Selbst wenn der Kreis alle Fördermaßnahmen streichen würde, könnte man nur rund 4,6 Millionen und damit einen Punkt Kreisumlage einsparen. Darin steckt auch die Förderung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs mit allein knapp drei Millionen Euro sowie die Förderung der Wohlfahrtspflege mit rund 440.000 Euro oder die Förderung der sozialpsychiatrischen Dienste mit 152.000 Euro. Was ein Wegfall dieser Mittel für einzelne Maßnahmen bedeuten würde, ist leicht auszumalen. Bleibt es gar bei der absehbaren Erhöhung der Kreisumlage, kann selbst ohne die Belastungen aus Hartz IV, die Leistungsfähigkeit der Städte und Gemeinden kaum aufrecht erhalten werden. Notwendige Sanierungen als Werterhalt an Schwimmbädern, Schulen, Kindergärten oder anderen öffentlichen Einrichtungen wie Straßen oder Kanalunterhaltung sind kaum mehr möglich, an Investitionen schon gar nicht mehr zu denken.
( 08.04.2004 - 10:13)

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