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Bei Amokläufen hilft nur koordiniertes Vorgehen

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26. April 2002: Ein Amokläufer tötet am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt (Thüringen) 16 Menschen und erschießt sich dann selbst. Was wir Deutschen bis dahin eigentlich nur aus den Nachrichten, vornehmlich aus den USA, kannten, ereignete sich im eigenen Land. Der Schock saß tief und führte zur der Erkenntnis, dass Amok-Taten überall und zu jeder Zeit möglich sind. An Institutionen, insbesondere an Schulen und die Polizei, erging die Anforderung, sich gezielt auf solche Lagen vorzubereiten. Konkret ging es um die Beherrschbarkeit der Lage und die Begrenzung der Folgen einer Amoktat. Es wurden Untersuchungen angestellt und die Forschung zum Thema Amok intensiviert. Die Polizeibehörden entwickelten Konzeptionen und Planunterlagen.

In der schnelllebigen Zeit geriet das Thema zumindest in der Öffentlichkeit wieder in Vergessenheit, bis zum 20. November vergangenen Jahres: Ein Schüler verletzte an einer Realschule in Emsdetten im Nordrhein-Westfalen fünf Personen und tötete sich dann selbst. Emsdetten war noch in aller Munde, als ein paar Tage später, am 6. Dezember 2006, Schulen und Behörden in Baden-Württemberg in helle Aufregung gerieten: Ein Schüler kündigte im Internet-Chat einen Amoklauf in einer Schule im Ländle an. An allen Schulen in Baden-Württemberg wurden vorsorglich Maßnahmen eingeleitet, auch in der Verwaltungsgemeinschaft Hockenheim. Manche Rektoren stellten den Unterrichtsbesuch frei und verzichteten auf den Hofgang zur großen Pause. Die gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Stuttgarter Innen-, Kultus- und Umweltministeriums über das Verhalten an Schulen bei Gewaltvorfällen und Schadensereignissen vom Juni 2006 war aktueller denn je.

Vornehmlich Einzeltäter
Doch was verbirgt sich hinter einem Amoklauf? Hockenheims Revierleiter Manfred Krampfert klärt im Gespräch mit unserer Zeitung auf: "Eine Amoklage liegt vor, wenn ein oder mehrere Täter mittels Waffen, Sprengmittel, gefährlichen Werkzeugen oder außergewöhnlicher Gewaltanwendung ziellos oder systematisch eine oder mehrere Personen verletzt oder getötet beziehungsweise dies versucht hat, auf weitere Personen einwirken kann und in fortgesetzter Verletzung- oder Tötungsabsicht handelt oder ein entsprechendes Verhalten von ihm zu erwarten ist."

Hinter Amokläufen wie im münsterländischen Emsdetten stehen nach Einschätzung des Kriminologen Christian Pfeiffer zumeist gescheiterte Existenzen. Irgendwann kompensieren diese Menschen dann ihre Ohnmacht durch einen Ausbruch von Machtgehabe. Pfeiffer: "Amokläufer wollen Macht ausüben, Todesangst einjagen, Herr über Leben und Tod spielen und anderen zeigen, wer die Macht hat." Nicht selten maskierten oder verkleideten sie sich dazu. Der 18-jährige Schüler hatte in Emsdetten mit zwei abgesägten Gewehren wild um sich geschossen. Dabei wurden drei Jungen, ein Mädchen und ein Hausmeister verletzt. Anschließend hatte sich der Amokläufer selbst getötet. Auf einer Internetseite hatte sich der 18-Jährige zuvor mit militärischem Tarnanzug und Gewehren präsentiert und die Bluttat angekündigt. Der glückliche Umstand, dass kein Opfer getötet wurde, zeigt laut Pfeiffer, dass der Schütze während der Tat doch noch Tötungshemmungen bekommen hatte. "In der Fantasie wird er noch viel Schlimmeres vorgehabt haben", mutmaßte der Kriminologe.

Laut Manfred Krampfert gebe es keinen typischen Amokläufer. Die Ursachen für solche Taten seien im privaten, beruflichen oder schulischen Bereich zu finden und markierten die Endpunkte einer Entwicklung. Bei Amokläufern handele es sich vornehmlich um Einzeltäter. Mehr als ein Drittel der Amokläufer begingen nach ihrer Tat Selbstmord.

Die von den drei baden-württembergischen Ministerien erlassene Verwaltungsvorschrift fordert die Erstellung von Notfallplänen an den Schulen in enger Abstimmung mit der Polizei. Mit im Boot ist auch die Freiwillige Feuerwehr, da die Pläne ja nicht nur Amokläufe umfassen, sondern auch Schadensereignisse wie Brände.

Manfred Krampfert kontaktierte in diesem Zusammenhang alle elf Schulen in der Verwaltungsgemeinschaft Hockenheim (sieben in Hockenheim, zwei in Neulußheim und je eine in Altlußheim und Reilingen), um mit den Schulleitungen beziehungsweise den beauftragten Lehrern die Pläne gemeinsam zu besprechen und inhaltlich aufzustellen. Schließlich sind die an den Schulen erarbeiteten Maßnahmenkataloge von der Polizei unter einsatztaktischen Gesichtspunkten zu bewerten.

Bei Besuchen vor Ort zeigte Krampfert den Vertretern der Schulen anhand von Schaubildern und einem Film mögliche Szenarien auf und erläuterte, warum jemand Amok läuft und wie er sich dabei verhält. Hockenheims Polizeichef freut sich über die gute Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Kooperation zwischen Schule und Polizei zu optimieren. Dazu gehören ein sicherer Ansprechpartner als Grundlage für ein kooperatives Vertrauensverhältnis ebenso wie eine konstruktive Zusammenarbeit bei relevanten Sachverhalten, also im Ernstfall. Wie man sich in diesem verhält, legte Krampfert ebenfalls dar. So sei zum Beispiel Ruhe zu bewahren, beruhigend auf die Schüler einzuwirken und die eventuelle Räumung der Schule mit der Polizei abzusprechen.

Polizei trainiert Ernstfall
Die Polizei ist freilich nicht nur darauf bedacht, zusammen mit den Schulen wirkungsvolle Notfallpläne aufzustellen, sie hat auch intern das Thema auf der Prioritätenliste ganz nach oben gerückt. Der Schwerpunkt der Aus- und Fortbildung liegt in diesem Jahr auf dem Thema "Amok". Zwischen Theorie eventueller Praxis ist freilich ein gewaltiger Unterschied. Manfred Krampfert: "Im Ernstfall werden Stresssituationen auftreten, die man sich kaum vorstellen kann. Da gilt es in kürzester Zeit die Lage zu analysieren, zu koordinieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dies wird eingehend trainiert. Wir tun alles, um für den hoffentlich nicht vorkommenden Ernstfall gerüstet zu sein."
Hans Schuppel aus SZ
( 12.02.2007 - 13:17)

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