Aus dem Vereinsleben

"Die Jugend hat ganz eigene Vorstellungen von Europa"
Jugendaustausch Jargeau - Reilingen

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"Rück mal rüber!" ruft Marco und drängelt sich zwischen die Gruppe von Jugendlichen, die da am Boden hocken und Stecken mit Brotteig über das Feuer halten. Es ist Sonntagnachmittag, der letzte Tag eines einwöchigen Jugendaustauschs zwischen Reilingen und Jargeau, der französischen Partnergemeinde an der Loire. Zum Abschluss wird ein Grillfest auf dem Gelände des Reitervereins veranstaltet, zu dem auch alle Gasteltern, Geschwisterkinder und wer sonst noch Lust hat, eingeladen sind.

Marco ist erst sechs und war im letzten Jahr der jüngste Teilnehmer bei der Partnerschaftsbegegnung in Jargeau. Seine älteren Geschwister, der 15-jährige Benjamin und die 17-jährige Jasmin haben beide schon in den letzten Sommerferien beim Jugendaustausch in Jargeau teilgenommen, deshalb ist das alles für Marco nichts Neues und er kennt die meisten.

Dem kleinen Marco ist es völlig schnuppe, ob Europa nun eine gemeinsame Verfassung bekommt oder nicht, denn überhaupt hat die Jugend ihre eigenen Vorstellungen, Wünsche und Ziele, und möchte gerne ihre Ideen in die Partnerschaft einbringen, wenn man sie nur lässt.

Der Wunsch, einen Jugendaustausch in eigener Regie gestalten zu wollen, reifte im letzten Jahr heran, als eine Reilinger Gruppe die erste Woche der Sommerferien in Jargeau verbrachte. "Wir haben tolle Sachen gemacht", schwärmt der 20-jährige Christian Hancke noch immer. Eine Kanufahrt auf der Loire oder auch das gemeinsame Picknick am Flussufer mit Lagerfeuer und Musik sind dabei besonders gut angekommen. Christian hat sich nach der Rückkehr aus Jargeau deshalb sofort bereit erklärt, zusammen mit der gleichaltrigen Sarah Mostowys, den diesjährigen Jugendaustausch in Reilingen zu betreuen.

"Warum nicht?" dachte man sich beim Vorstand des Freundeskreises Reilingen-Jargeau, schließlich ist jeder Verein froh, wenn junge Leute Verantwortung übernehmen wollen. Gemeinsam wurde ein Programm für die Woche zusammengestellt, in das die Jugendlichen ihre Wünsche einbringen konnten.

Viel Wert wurde dabei darauf gelegt, nur mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen, wenn die Jugendlichen dies wünschten. Und was da nach nur zwei Sitzungen als Programm auf die Beine gestellt wurde, konnte sich nicht nur sehen lassen, sondern weckte in manchem Erwachsenen den Wunsch, selbst mitmachen zu können.

Und das Konzept ging voll auf. Am Montagabend traf die Gruppe mit ihren beiden ebenfalls sehr jungen Betreuern Marie Emanuelle Letourneau und Nicolas Breton mit dem Zug aus Frankreich in Mannheim ein, wo die Gastfamilien ihre Schützlinge in Empfang nahmen.

Einige Jugendliche waren noch sehr schüchtern, da sie zum ersten Mal an einem Austausch teilnahmen. Diejenigen, die sich schon kannten, fielen sich gleich in die Arme und begrüßten sich überschwänglich. Um aber auch die "Neulinge" zu motivieren, aufeinander zuzugehen beziehungsweise in die Gruppe zu integrieren, hatte man sich im Vorfeld ein Spiel für die gesamte Woche einfallen lassen.

Jeder Jugendliche musste einen Zettel mit dem Namen eines Partners ziehen. Für diesen war man dann der "ange gardien", der "Schutzengel" und musste ihm ein Geschenk machen. Schon deshalb war man gezwungen, den jeweiligen Schützling besser kennen zu lernen. Und dazu bestand im Laufe der Woche ausreichend Gelegenheit.

Von sportlichen wie auch spielerischen Aktivitäten auf dem neuen Schulhof und in der Sporthalle, einer Shopping-Tour durch Mannheim mit anschließendem Besuch im Luisenpark bis hin zum Bogenschießen auf dem Übungsgelände der "Flying Arrows" in Reilingen reichte das Angebot. Auch im Jugendzentrum "Cosmos" konnten sich die Jugendlichen umschauen und sich beim Billard oder Tischfußballspiel die Zeit vertreiben.

Absolut begeistert waren alle von einem Besuch im Aquadrom in Hockenheim, der den Jugendlichen von Oberbürgermeister Gummer ermöglicht worden war. Am Abend traf man sich in der Reithalle des Reitervereins zum gemeinsamen Essen. Der absolute Höhepunkt aber war die anschließende Übernachtung in der Reithalle. Dass in dieser Nacht eigentlich keiner so richtig schlafen wollte, versteht sich dabei von selbst.

"Die Deutschen sind total nett und wir wurden von den Familien sehr freundlich aufgenommen" meint Nicolas Breton, der die französische Gruppe begleitet hat, und das klingt fast ein bisschen verwundert. Eine Woche, die man zusammen verbracht hat, das schweißt eine Gruppe schon zusammen, auch wenn jeder so seine "Macken" hat.

Größere Verständigungsprobleme gab es auch nicht, obwohl manche erst seit kurzem Deutsch oder Französisch lernen. "Wenn man mal nicht klar kam, wurde einfach so lange drumherumgeredet, bis der richtige Begriff genannt wurde, oder wir haben einfach Hände und Füße benutzt", meint jemand, und die anderen nicken zustimmend.

Französisch gehört nicht unbedingt zu Kevins Lieblingsfächern in der Schule, und eigentlich hat ihn seine Mutter überredet, bei diesem Austausch mitzumachen und einen gleichaltrigen Franzosen aufzunehmen. Nach dieser Woche aber zeigt auch er sich begeistert und meint: "Ich will mich mehr anstrengen in Französisch, damit ich mich nächstes Mal besser unterhalten kann", und auch Marie, die französische Betreuerin, die zum ersten Mal in Deutschland ist, möchte demnächst einen Sprachkurs besuchen, um die Deutschen besser verstehen zu können.

"Die Woche war super, alles war schön und gut organisiert" sagt die 17-jährige Jasmin. Nur einen entscheidenden "Kritikpunkt" hätte sie noch anzubringen: "Die Zeit war wieder mal viel zu kurz!" meint sie und drückt ihre französische Freundin Anaïs zum Abschied noch einmal, bevor diese in den Zug einsteigen muss.

Komisch - genau diese Feststellung treffen auch immer die Erwachsenen bei einer Begegnung, und zwar einstimmig, egal ob Deutscher oder Franzose. Da ist es völlig gleichgültig, was die Politiker in Brüssel austüfteln: Der viel zitierte Bau des "Hauses Europa" findet eben doch hier statt - in der Begegnung zwischen den Menschen.ab
( 22.08.2005 - 12:50)

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Gemeinsamer Ausflug ins AquadromGemeinsamer Ausflug ins Aquadrom
Jugendliche beim SpielJugendliche beim Spiel
Das Betreuerteam mit C. Hancke, M.E. Letourneau u. N. BretonDas Betreuerteam mit Christian Hancke, Marie Emanuelle Letourneau und Nicolas Breton

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