Ortsgeschichte

Abschied von einem Stück Alt - Reilingen
Abschied von einem Stück Alt - Reilingen

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In Reilingen in der Wörschgasse, einer der ältesten örtlichen Straßen, fallt wieder ein altes Gebäude der Spitzhacke anheim. Nachdem das Haus Wörschgasse 8 (ehemals im Besitz der verstorbenen Greta Bickle) und danach das Haus Wörschgasse 10 (im Besitz von Richard Kneis) verschwand, war nun das Haus Wörschgasse 12 an der Reihe. Nachweisbar ist der Bestand des Hauses ab 1856. Damals war es im Besitz von Erasemus Keusch. Dessen Sohn Johannes bewohnte das Haus mit seiner Frau Luise und den 5 Kindern Anna, Jakob, Wilhelm, Eva und Lina. Zum Anwesen gehörte eine Scheune mit Stallung. Johannes Keusch hatte zu Lebzeiten eine kleine Landwirtschaft betrieben. Seine Frau verstarb leider bereits im Alter von erst 43 Jahren, so dass die Kinder schon früh tüchtig mit anpacken mussten. Das Anwesen überstand den 2. Weltkrieg ohne direkte Kriegsschäden. Doch der Zahn der Zeit hatte vehement an den Gebäuden genagt. Ursula Seidel erinnert sich, dass sie als Kind durch die hintere Giebelmauer sogar den Sternenhimmel beobachten konnte. Mühsam wurde Pfennig um Pfennig für eine Renovierung gespart. Im Schopfen, oder wenn es sehr kalt war auch in der Küche, wurde Tabak gefädelt und im Speicher aufgehängt. Erlöse daraus, wie auch aus dem Verkauf von Getreide, wurden auf die hohe Kante gelegt. Dazu kamen kleinere Beträge aus der Arbeit in der Tabakfabrik. Dann machte die Inflation allen Renovierungsvorhaben einen dicken Strich durch die Rechnung.

Tochter Eva übernahm 1954 nach dem Tod des Vaters das Gebäude. Als Kriegerwitwe zog sie ihre beiden Kinder Ursula und Kurt allein auf und musste mühsam neu mit dem Sparen beginnen. Fast täglich kehrte sie müde von der harten Feldarbeit oder vom Heuen von den Rheinwiesen zurück. Dann war sie ganz stolz auf ihre kleine Tochter, die ihr bei der Rückkehr einen sauberen Haushalt und ein einfaches Essen präsentieren konnte. Mit der Zeit wurde aus dem Wohnhaus eine schmucke Wohnstatt. Die Scheune wich 1973 einem zweiten Wohnhaus, welches Tochter Ursula heute mit ihrer Familie bewohnt. Aus dem ehemaligen Gärtlein hinter der früheren Scheune existiert noch heute ein alter Rhabarberstock, der alljährlich kräftige saftige Stängel treibt. Das ist fast so wie bei Theodor Fontanes Herrn Ribbek von Ribbek im Havelland, in dessen Garten ein Birnbaum stand. Wer von der älteren Generation hat nicht in der Schule dieses ergreifende Gedicht gelernt? Der alte Rhabarberstock steht allerdings nicht auf dem Grab, sondern in einem Garten am Rande der Wörschau. Der Schwiegersohn erinnert sich auch noch gut an die zwar kleinen aber wohlschmeckenden Trauben Marke "Franzosen" an der Scheunenwand. Von denen ist allerdings nichts übrig geblieben.

Wohl behütet in vertrauter Umgebung erreichte Eva Bickle das gesegnete Alter von 92 Jahren und verstarb 2004. Tochter Ursula, welche das Haus übernommen hatte, entschloss sich nun, das alte Wohnhaus abreißen zu lassen, obwohl damit der Verlust ihres geliebten Elternhauses verbunden war. Das berstende Krachen des Sperrmüllwagens und das Dröhnen des Baggers schnitten tief ins Herz. Die marode Bausubstanz ließ aber offensichtlich keine andere vernünftige Lösung mehr zu. Auf dem frei werdenden Platz soll eine adrette Grünanlage entstehen.

Im Rahmen des Projektes Ortskernsanierung ist mit der Gestaltung der Wörschgasse wohl wieder ein richtiger Schritt in Richtung "Unser Dorf soll schöner werden" getan.
Sed / Foto Sed+svs
( 08.08.2005 - 12:40)

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Die Besitzer vor dem Haus in der WörschgasseDie Besitzer vor dem Haus in der Wörschgasse

© Gemeinde Reilingen 2005