Aus der Geschäftswelt

"Vom Holzbein zum computergesteuerten Kniegelenk"
Schwechheimer ist Bundessieger u. bester Orthopädiemechanike

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Rollstühle mit maßgefertigten Sitzschalen, einige von ihnen erschreckend klein. Daneben Orthesen, Beinprothesen, Korsette - alles ist in der orthopädietechnischen Werkstatt zu finden. Arbeitsschritt für Arbeitsschritt lässt sich hier nachvollziehen. Gipsen, gießen, schleifen, tiefziehen oder modellieren. Präzise handwerkliche Arbeit, millimetergenau auf den menschlichen Körper zugeschnitten. Die Besonderheit an diesem Beruf: Dass hinter jedem der angefertigten Stücke ein menschliches Schicksal steht. Orthopädietechnik ist Arbeit am und für den Menschen.

Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf beiden Seiten ist dabei Voraussetzung. In den ersten Ausbildungsmonaten ging Benjamin Schwechheimer das schon nahe: Wenn Eltern mit einem schwer behinderten Kind kamen oder ein junger Mann, kaum älter als er, der eine Prothese brauchte, weil er bei einem Verkehrsunfall sein Bein verlor. Mittlerweile weiß der 21-jährige Reilinger, dass er sich schützen muss, nicht zu sehr Anteil nehmen darf: "Man geht sonst kaputt, das hilft niemandem weiter, am wenigsten den Betroffenen selbst".

Den Beruf des Orthopädiemechanikers und Bandagisten zu ergreifen, war für Benjamin Schwechheimer schon lange beschlossene Sache. Bereits nach dem ersten Praktikum, das er noch während der Schulzeit absolvierte. "Ein abwechslungsreiches Handwerk wollte ich lernen, auf keinen Fall hinter dem Schreibtisch versauern", erinnert er sich. So absolvierte er von September 2001 bis Mai 2005 seine Ausbildung beim Gesundheitshaus Fuchs + Möller, einem 1933 gegründeten und alteingesessenen Mannheimer Familienbetrieb.

Mit Freude und großem Erfolg. Sein Gesellenstück, eine Knieorthese, stand beim praktischen Leistungswettbewerb der Handwerksjugend 2005 gleich dreimal ganz oben auf dem Siegertreppchen. Als Bester seines Berufsstandes wurde er erster Kammersieger der Handwerkskammer Mannheim, erster Landessieger und sogar erster Bundessieger. Eine Ehre, die seinem Ausbildungsbetrieb bisher so noch nicht widerfahren ist.

Stolz ist man und hat allen Grund dazu. Obwohl Benjamin Schwechheimer gar nicht der Typ ist, der gern im Rampenlicht steht. Große Worte macht er nicht, lieber arbeitet er ruhig vor sich hin. Präzise, konzentriert, sorgfältig. Denn darauf kommt es an. Schließlich ist der menschliche Körper empfindsam und am Ende darf nichts drücken, reiben oder unbequem sein. Das ist die eigentliche Kunst seines Berufes, in die uns Schwechheimer gerne einführt.

Wir besuchen ihn in der Neckarauer Werkstatt, in der Prothesen (Ersatz von fehlenden Gliedmaßen) und Orthesen (Unterstützung von Gliedmaßen), Sitzschalen, Verbrennungsbandagen sowie orthopädische Schuhe und Einlagen nach Gips und Maß gefertigt werden. Dort herrscht auch zwischen den Jahren normaler Arbeitsalltag. Benjamin Schwechheimer zeigt uns den Anproberaum. Abgetrennt vom Rest der Werkstatt, nicht besonders groß, dafür hell und freundlich, ein Hauch von Intimssphäre.

Hierher kommt der Kunde zunächst mit seinem Rezept. Der erste Gipsabdruck wird gemacht, alle folgenden Anproben finden an diesem Ort oder zu Hause statt. Das klingt lapidar, kann aber mitunter zu starken Emotionen führen. "Manche Menschen realisieren erst jetzt richtig, was passiert ist. Andere schotten sich total ab, lassen keine Gefühle zu", weiß Schwechheimer aus Erfahrung. Einfühlungssvermögen bei gleichzeitiger Distanz sind deshalb wichtig. Vor allem in der Abteilung Reha-Sonderbau (Versorgung von Schwerbehinderten), in der er arbeitet.

Ist der Gipsabdruck einmal gemacht, kann er ausgegossen und weiter bearbeitet werden. Bei unserem Besuch dürfen wir die Arbeitsschritte einer Fußorthese mitverfolgen. Schwechheimer führt uns in den Gipsraum, wo gerade Schleifarbeiten mit Fliegendraht an einem Gipsmodell vorgenommen werden. Solange, bis dieses identisch mit dem menschlichen Bein ist. Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Schnell ist ein Stück zu viel abgetragen und dann gilt es erneut Gips aufzutragen, erneut mit dem Abschleifen zu beginnen. Jeder Millimeter muss sitzen.

Erst dann kann mit dem Tiefziehen, der Ummantelung des Gipsmodells mit einer Kunststoffschicht, begonnen werden. Eine Viertelstunde etwa muss die Kunststoffplatte in den Heizofen bei etwa 180 Grad gelegt werden. Ist sie durchsichtig geworden, wird sie vorsichtig herausgenommen und um das Gipsmodell geschlagen, die Naht verschweißt. Im Anschluss löst der Oszillant (schwingende Scheibe) die Ummantelung vom Gipsbein, die Feinarbeit, das Ausfüllen mit einer Schicht Hartschaum sowie Bandagierarbeiten können beginnen. Auch der Termin für die erste Anprobe ist jetzt nicht mehr weit. Im Idealfall genügt eine, in der Regel sind aber mehrere nötig, um einen optimalen Tragekomfort zu erzielen.

Und um den geht es. "Schließlich verkaufen wir Lebensqualität", erklärt Wolfgang Eichhorn, Geschäftsführer der Firma "Fuchs + Möller". Und diese habe sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ständig verbessert. Wie in vielen anderen Bereichen auch, war die Entwicklung in der Orthopädietechnik rasant: Vom "Holzbein zum computergesteuerten Kniegelenk", von der "Natur zum Kunststoff".

Immer leichter und fester werden die verwendeteten Kunststoffe, in puncto Tragekomfort steht die seit zehn Jahren verwendete Karbonfaser an erster Stelle. Sensible Technik ist auf dem Vormarsch, ersetzt die plumpe Mechanik von einst. Die Zeiten schwerer Holzbeine, die ihre Träger auf Schritt und Tritt an ihren Verlust erinnerten, sind schon lange vorbei.

Mit moderner Orthopädietechnik lässt sich heutzutage vieles tun, vieles erträglicher, manches zeitweise sogar vergessen machen - die soziale Komponente dieses Berufes ist nicht von der Hand zu weisen. Er erfordert handwerkliches Geschick und ist letztendlich doch "immer auch den Menschen zugeschnitten". Benjamin Schwechheimer mag diese Kombination.
Elke Seiler aus SZ
( 09.01.2006 - 12:21)

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