Ortsgeschichte

"Achtung! Achtung! Sie hören Nachrichten!"
Blick auf die Ortsrufanlage im Rathaus

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„Achtung! Achtung! Sie hören Nachrichten!“ – jeden Tag bis zu zwei Mal war in den 50er und 60er Jahren dieser Satz in den Reilinger Ortsstraßen zu hören. Anschließend folgten Ortsnachrichten unterschiedlichster Art. Amtliche Bekanntmachungen, Kommunalpolitisches, Veranstaltungshinweise, Glückwünsche zum Geburtstag oder zur Eheschließung und Werbehinweise der örtlichen Betriebe. Die Ortsrufanlage war bis Mitte der 70er Jahre ein wichtiges Mitteilungsorgan.

Im Juli 1955 wurde die herkömmliche Form der Bekanntgabe von Nachrichten und Veröffentlichungen in Reilingen – zuletzt besorgte das „Ausschellen“ Amtsbote Willi Würtz – durch eine technische Neuerung, die Ortsrufanlage abgelöst. Mit ihr konnten Informationen für die Bürger bei jeder Tages- und Nachtzeit übermittelt werden. Voraus ging eine Erkennungsmelodie – das Trompetensolo aus Capriccio Italien von Peter I. Tschaikowski erklang. Das Herz der Ortsrufanlage schlug im Rathaus. Eine Verstärkerzentrale von 800 Watt, ein Rundfunkempfänger und ein Plattenspieler bildeten die geeigneten Voraussetzungen für einen reibungslosen Sendeablauf.

Hier finden Sie die Erkennungsmelodie der alten Ortsrufanlage:
http://www.reilinger.de/download/fanfare.mp3


Die Mitteilungen waren überall im Ort zu hören. Zunächst 113 Lautsprecher und vier Richtstrahler sorgten für eine maximal zulässige Lautstärke von 70 Phon. Die Verkehrssicherheit sollte durch eine überzogene Lautstärke nicht beeinträchtigt werden. Über 8.000 Meter lang war das Leitungsnetz, das von den ortansässigen Elektrofirmen Werner Kälberer und Willi Eichhorn verlegt wurde. Die Anlage kostete die Gemeinde damals rund 35.000 Deutsche Mark. Sie ging am 01. Juli 1955 in Betrieb.

Finanziert wurde der Ankauf der Ortsrufanlage über fünf Jahresraten mit einem Zinssatz von sechs Prozent auf die verbleibenden Restraten. Ursprünglich hatte das Landratsamt Mannheim als damalige Rechtsaufsichtsbehörde Einwände gegen eine derartige Finanzierung vorgebracht. Grund: Die Gemeinde hatte zum 31.03.1954 einen Schuldenstand von 180.349 Deutsche Mark und im Laufe des Rechnungsjahres sollten weitere 210.000 Deutsche Mark hinzukommen. Damit wollte die Gemeinde die Ortsentwässerung ausbauen, den Nachtwaidgraben als Vorfluter vertiefen und räumen, den Fröschaugraben räumen und verschiedene Straßen wie auch Feldwege herstellen. Das Landratsamt ließ sich offensichtlich nur schwer überzeugen. Die Genehmigung des Ankaufs der Ortsrufanlage ging schließlich erst im Januar 1956, mithin ein halbes Jahr nach der eigentlichen Inbetriebnahme der Anlage, bei der Gemeinde ein.

Im Laufe der Jahre musste die Ortsrufanlage ständig erweitert werden. 1961 waren bereits über 140 Lautsprecher am Netz.

Eine eigens erlassene Gebührenordnung regelte den Zahlungsverkehr. An „Ausschellgebühren“ wurden im allgemeinen für eine Durchsage mit einem Umfang von bis zu 25 Worten drei Deutsche Mark erhoben. Auswärtige wurden mit fünf Mark zur Kasse gebeten. Vereine hatten jährlich bis zu sechs Durchsagen gebührenfrei. Auch die Bekanntgabe von Sterbefällen oder die Durchsage von Hinweisen der Feuerwehr, des Roten Kreuzes oder der Inneren Mission waren von Kosten freigestellt. Geschäfte durften gegen Zahlung von drei Mark pro Woche maximal eine Durchsage veranlassen.
Sendezeit war jeweils Montag bis Freitag um 12.10 Uhr und 17.30 Uhr.

„Als ich meine erste Durchsage machte, war ich sehr aufgeregt“, erinnert sich der heutige Hauptamtsleiter Josef Dufrin, der in der Zeit von 1967 bis 1973 immer wieder einmal am Mikrofon saß. So manches mal galt es sprachliche Stolperfallen zu überwinden. Deshalb wurde auch im stillen Kämmerlein immer wieder geübt, um auf Sendung einen schwungvollen, vor allem aber verständlichen Redefluss vortragen zu können. Bekannt gegeben wurden Vereinsnachrichten, Veranstaltungstermine, Ratsentscheidungen und dergleichen mehr. Glückwünsche galten älteren Bürgern zum Geburtstag, aber auch Jungvermählten - in der Regel verbunden mit einem musikalischen Gruß. Dabei wurden auch besondere Wünsche erfüllt. Das damalige Ehrenmitglied des Athletenvereins Franz Kühner ließ sich beispielsweise regelmäßig den kompletten Zapfenstreich abspielen. „Da blieb schon einmal nur noch eine viertel Stunde Zeit für die Mittagspause“, blickt Josef Dufrin zurück. Mit „Ganz in Weiß“ sang sich Roy Black in die Herzen der Jungvermählten. Das „Largo“ von Händel war der musikalische Beitrag bei Sterbefällen und das volkstümliche Lied „Drei weiße Birken“ erinnerte die zahlreichen Heimatvertriebenen an frühere Zeiten.

Aber auch Werbetexte wurden verlesen. Gerne angekündigt wurde der Verkauf von Frischfisch oder das Programm des Reilinger Lichtspielhauses (heute Standort Baumarkt Haas).

Über 20 Jahre lang war der Ortsfunk in Reilingen in Betrieb. Dass er Mitte der 70er Jahre eingestellt wurde, hatte gleich mehrere Gründe. Die Anzahl der Durchsagen war im Verlauf der Jahre stark rückläufig. Zudem hatte der Autoverkehr in einem Umfang zugenommen, dass die Lautsprecher-Durchsagen wegen des hohen Geräuschpegels auf den Straßen fast nicht mehr zu hören waren.

Abgelöst wurde die Ortsrufanlage durch das wöchentlich herausgegebene Amtsblatt „Reilinger Nachrichten“. Die Erstausgabe ist am 04. Oktober 1973 erschienen.
Fotos: Philipp Bickle
( 31.07.2006 - 10:39)

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