Ortsgeschichte

Eine Alt-Reilinger Einrichtung ist nicht mehr

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Dieser Bericht wurde 1979 in den Reilinger Nachrichten veröffentlicht.

Nur wenigen Eingeweihten war es bewusst, dass mit dem Tod von Frau Susanna Klotz geb. Klein, welche am vergangenen Freitag im gesegneten Alter von 91 Jahren beigesetzt wurde, ein Stück Alt - Reilinger Geschichte ins Grab gesunken ist. Es war allerdings nicht die Persönlichkeit von Frau Klotz, die Geschichte machte, nein, sie lebte zeitlebens zurückgezogen und bescheiden, sondern eine Einrichtung, die an ihre Person geknüpft war. Frau Klotz war die letzte Bürgerin von Reilingen, die Entschädigung aus der Almendablösung erhielt.

Bei der jüngeren Generation, und auch bei vielen Neubürgern, ist diese Einrichtung wohl nicht mehr bekannt, und doch reicht ihre Geschichte viele Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit. Das Ende des „Bürgerrechts alter Art“ ist es wohl wert, noch einmal dargestellt zu werden, um unseren heutigen Mitbürgern Kunde davon zu geben, was ihren Vorfahren einmal viel bedeutet hat. Diese Zeilen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere sind sie aufgebaut auf den Akten und Büchern, welche heute noch im Rathaus aufbewahrt sind.

Ihren historischen Ursprung hatte die Allmende in der altgermanischen Zeit, wo bestimmte Feldfluren für die gemeinsame Nutzung durch die Stammesangehörigen zur Verfügung standen. Neben Ackerland war dies besonders Weideland, sowie Holznutzung. Wann diese „gemeine Mark" oder „Allmand " in Reilingen aufgeteilt wurde für die Einzelnutzung, ist nicht festgestellt. Für die frühere Zeit hatte sie jedoch einen großen wirtschaftlichen Wert. Nach einer Erhebung waren im alten Land Baden im Jahre 1927 in 272 Gemeinden und Städten noch 12.337 ha in Allmendnutzung, in der Gemeinde Reilingen waren es immerhin 41 ha.
In seiner „Geschichte von Reilingen und Wersau" widmet Professor Hermann Krämer, ein Sohn unserer Gemeinde, ein besonderes Kapitel der Allmende. Das Bürgerrechtsgesetz von Baden, in seiner Fassung vom Jahre 1858, enthielt die zuletzt gültigen formellen Vorschriften über das Bürgerrecht. Auch die heute geltende Gemeindeordnung für Baden - Württemberg befasst sich noch in dem § 100 mit dem Bürgernutzen, heute Gemeindegliedervermögen genannt. Sie besagt allerdings, dass eine Aufnahme zum Nutzbürgerrecht nicht mehr zulässig ist. In der Fassung von 1955 war diese noch in Gemeinden bis 3000 Einwohnern gestattet.

Wie wurde man nun früher Bürger in Reilingen?
Es konnte dies auf zwei Arten geschehen. Falls der Vater bereits das Bürgerrecht besaß, durfte man mit der Vollendung des 25. Lebensjahres das angeborene Bürgerrecht antreten. Stolz erhobenen Hauptes begaben sich die jungen Männer (Frauen konnten nicht Bürger werden) an ihrem Geburtstag aufs Rathaus, füllten ein Formular aus und entrichteten eine Gebühr. Zuletzt waren dies 6,-- DM. Der Antrag wurde dem Gemeinderat vorgelegt und, nachdem dieser zugestimmt hatte, wurde ein Eintrag im Bürgerbuch gefertigt. Entsprechend der Reihenfolge in diesem Bürgerbuch erfolgte später die Zuteilung der Allmend - Grundstücke. Es war deshalb besonders wichtig, den Antrag rechtzeitig zu stellen, denn wenn man sich verspätete bestand die Möglichkeit, dass ein anderer, jüngerer Bürger, den Vorrang einnahm, und man kam evtl. erst ein Jahr später in die Zuteilung. Wer nicht von einem Bürger abstammte, konnte sich einkaufen. War er mit einer Bürgerstochter verheiratet ging dies in der Regel einfach. Er musste allerdings weit mehr bezahlen. Zuletzt waren es ca. 90,-- DM.
Wer aber völlig fremd war, musste neben einem guten Leumund und Vermögensnachweis etwa 130,-- DM auf den Tisch legen.
Mit dem Eintrag im Bürgerbuch wurden auch die bei Namensgleichheit früher üblichen Zusätze in lateinischen Ziffern vergeben. So trug mein Großvater z.B. die Bezeichnung Adam Müller V, im Unterschied zu Adam Müller IV, der nur 1 Tag älter war und deshalb 1 Tag früher seinen Antrag stellte.
Längst ist inzwischen die rechtliche Gleichstellung zwischen Männern und Frauen eingeführt und die Vorrechte der Männer sind aufgehoben. Bürger in Reilingen wird man heute, egal ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, wenn man Deutscher ist, das 18. Lebensjahr vollendet hat und 6 Monate hier wohnt.

Das älteste, von mir gefundene Bürgerbuch wurde 1871 angelegt. Voraus ging eine Aufforderung des Großherzoglichen Bezirksamtes Schwetzingen vom 10. August 1871. Darin steht, dass das alte Buch zum Teil aus losen Blättern besteht und revidiert werden muss. Der Vollzug war innerhalb von 2 Monaten anzuzeigen. Aber schon damals arbeiteten anscheinend die Behörden nicht so schnell, denn in den Akten ist fein säuberlich noch eine Erinnerung abgelegt.

Am 25. Oktober aber kann Ratschreiber Conrad Dussel den Vollzug melden. Als erster Bürger ist Jacob Flick, von Beruf Wagner, eingetragen. Er hat sein Bürgerrecht am 25. Mai 1816 angetreten und dürfte demnach 1791 geboren sein.

Dieses Buch erfüllte seine Dienste bis 1889. Dann wurde Ratschreiber Georg Simshäuser mit der Neuanlegung beauftragt. Es sollte das letzte Bürgerbuch von Reilingen werden. Sein letzter Eintrag wurde im Jahre 1958 gefertigt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt der Bürgernutzen bereits 8 Jahre abgelöst war, gab es immer noch Bürgersöhne, die auf ihrem Eintrag bestanden.
Wer im Bürgerbuch eingetragen war, besaß die badische Staatsangehörigkeit, er war - vor Einführung des allgemeinen Wahlrechts - bei den Gemeindewahlen wahlberechtigt, konnte Ehrenämter ausüben und nahm, wie oben erwähnt, am Bürgernutzen teil. Noch heute kommen immer wieder Anfragen aufs Rathaus, wo Nachkommen von ehemaligen Reilingern Rückfrage halten, ob der Vater oder Großvater im Bürgerbuch eingetragen sind. Ist dies der Fall, so erhalten sie eine Bescheinigung und können damit am jetzigen Wohnort ihre deutsche Staatsangehörigkeit nachweisen. So bedeuten diese alten Eintragungen heute noch Vorteile für Kinder und Kindeskinder.
Ludwig Müller

ps: Heute (2007) ist Bürger der Gemeinde, wer Deutscher i.S. v. Art. 116 GG ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU (Unionsbürger) besitzt, das 18. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnt (§ 12 Gemeindeordnung Baden-Württemberg).
Fortsetzung folgt
( 12.02.2007 - 13:42)

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