Seite drucken
Spargelgemeinde Reilingen (Druckversion)

Ortsgeschichte

Wir berichten

Gedenken an die vor 75 Jahren verschleppten jüdischen Mitbürger

[Online seit 19.10.2015]

Von 1938: Zigarrenfabrik der Gebrüder Baer in der Ziegelgasse/ Ecke Hauptstraße (heute: Sparkassenneubau)
Von 1938: Zigarrenfabrik der Gebrüder Baer in der Ziegelgasse/ Ecke Hauptstraße (heute: Sparkassenneubau)
Max Kahn (1873-1942), genannt "Feise Max" wird ins Internierungslager Gurs deportiert
Dem jüdischen Metzger Feis Kahn und seiner Frau Bertha geb. Hess wird am 4. Oktober 1883 ein Sohn Max geboren. Dieser wohnte in der Hockenheimer Straße 46. Das Einwohnerverzeichnis von 1938 nennt als Anschrift " Bertha Kahn Witwe". Max Kahn war unverheiratet und arbeitete als kaufmännischer Angestellter bei der Zigarrenfabrik der Gebrüder Baer in der Ziegelgasse/Ecke Hauptstraße in führender Stellung. Er war auch Schriftführer im Turnerbund Germania und musste 1933 "unter Tränen", wie mein Vater berichtete, sein Amt abgeben, weil er Jude war. Mit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten hatten auch andere Reilinger jüdische Mitbürger zu leiden. Es gab 1933 noch 11 jüdische Mitbürger in Reilingen, das waren 0,4 % bei 3114 Einwohnern. So zeigt ein Ausschnitt einer amtlichen Mitteilung von 1938, dass Hedwig Broda ihren "Kolonialwarenladen und Spargelversand" in der Hauptstraße 101 "abzuwickeln bzw. aufzulösen " habe, da eine "Arisierung nicht vorgesehen sei". Jeglicher Verkauf "im Großen oder Kleinen sei verboten oder strafbar" und die Waren müssten in Mannheim abgeliefert werden.
Max Kahn war ( zusammen mit Joseph Broda ) im Vorstand der jüdischen Reilinger Gemeinde. Er erteilte auch gelegentlich Religionsunterricht, wie mir Alfred Kahn erzählte. Zur Prüfung fragte er: " Wo wohnten Adam und Eva?" Doch statt der Antwort : " Im Paradies!"antwortete der kleine Alfred: "Uff dä annere Seit´ vunn dä Hoggema Strohß!" (Dort hießen zwei Nachbarsleute "Adam" und "Eva"!) Sein zweiter Name "Feise Max" kam daher, dass er der Sohn von Feis Kahn war. Oft nannte man den Sohn nach dem Vornamen des Vaters. So z. B." Dä Phillp - Werner! (Werner Kneis)
Max Kahn muss ein geselliger Typ gewesen sein. Als am 22. und 23. Oktober 1940 Baden , die Pfalz und Saarland "judenfrei" gemacht wurde, jagte man den 57jährigen Mann unter Schlägen auf einen LKW in der Hockenheimer Straße. Erwachsene Frauen und Mütter hätten geweint, wie mir eine Zeitzeugin erzählte. Ein andere Zeugin berichtete mir: "Ich hebb a schunn mit ihm gedanzt!" Bereits in der Reichskristallnacht am 11.11. 1938 hatte man ihn verhaftet und für kurze Zeit im Konzentrationslager Dachau eingesperrt. Nach seiner Wegführung im Jahre 1940 lebte Max Kahn fast noch zwei Jahre. Sein Tod wird im demnächst erscheinenden Reilinger Familienbuch mit dem 17. August 1942 im Vernichtungslager Auschwitz angegeben.
Quellen: "Reilinger Familienbuch" im Druck befindlich; mündliche Berichte von Zeitzeugen; 700 Jahre Reilingen ( Textbuch von 1986), Fotoalbum aus dem Besitz von Max Kahn aus dem Jahre 1938 über die Firma Bär, überreicht von Ernst Schmitt (verstorben) im Reilinger Heimatmuseum befindlich; Adressbuch von 1938.
Philipp Bickle
Max Kahn mit Arbeiterinnen in der ''Kistchen-Macherei''
Max Kahn mit Arbeiterinnen in der ''Kistchen-Macherei''

http://www.reilingen.de//de/news/ortsgeschichte