Wir berichten
"Vumm kadolische unn evangehlische Fedd´l -Tisch!"
[Online seit 11.06.2018]
(Eine Erzählung nach einer wahren Begebenheit von unserer Leserin Anni Amann geb. Kiefert)
In den fünfziger Jahren wurde in Reilingen noch viel Tabak angebaut. Wenn die reifen Blätter gebrochen waren, wurden sie in Bündeln nach Hause gebracht, um dort „eingefädelt“ zu werden. Hierzu waren vom „Tabakschnurknäuel“ etwa 80 cm lange Schnüre vorbereitet, welche vorne mit einer Schlaufe versehen waren. Mit einer langen „Einfädelnadel“ wurden die Blätter nun aufgespießt und am Ende zu einem „Bandlier“ mit einer Endschleife („Schlupf“) auf den Boden gelegt. Dann kamen sie später auf den luftigen Scheunenboden, wo sie fein aufgereiht nebeneinander hingen, um im Luftstrom zu trocknen. Das Tabakeinfädeln war eine Arbeit, die besonders von Frauen und Kindern durchgeführt wurde.
Das Tabakeinfädeln war ein Erlebnis, wie uns Anni Amann erzählt. Dabei wurde gesungen und erzählt. Zahlreiche Frauen und Kinder arbeiteten bei der Familie Konrad und Anna Heilmann in der Hockenheimer Straße Nr. 45. Wenn die Arbeit dann fertig war, wurden alle zum Essen gerufen und versammelten sich am Tisch. Frau Anna Heilmann hatte jeden Tag für ein gutes Vesper gesorgt und alle nahmen mit großem Appetit ihr Essen ein.
Eine Ausnahme bildete der Freitag. Da hatte Frau Heilmann das Essen an zwei Tischen vorbereitet. Es gab einen „evangelischen“ und einen „katholischen“ Feddl´-Tisch“ auf dem das Abendessen stand. Auf der katholischen Seite gab es wegen der von der Kirche geforderten Fastenvorschrift keine Wurst, sondern nur Käse. Wie Anni Amann uns berichtete, schlich sie dann gerne auf die evangelische Seite, um auch an der leckeren Wurst Anteil zu haben. Frau Heilmann ließ es gewähren, hatte aber guten Gewissens für die strenggläubigen Katholiken vorsorglich die richtigen Speisen angeboten.
Philipp Bickle