Wir berichten
Kartoffelernte früher (Teil 1)
[Online seit 30.10.2017]
Als ich ein Schulkind in der zweiten Klasse war, gab es im Herbst noch Kartoffelferien. Die Leute in Deutschland verbrauchten pro Kopf (1950/51) 186 Kilo (!!), obwohl es noch keine Pommes frites gab. Heute (2015/16) sind es trotz der geliebten Pommes frites und der Kartoffelchips nur noch 56,5 Kilogramm. Es gab in Reilingen in den meisten Familien noch einen Kartoffelacker, in welchem auch viele Nebenerwerbslandwirte Kartoffeln anbauten.
Im Herbst, wenn das Kartoffelkraut welk geworden war, zogen wir (Vater, Mutter, Großvater und mein Bruder) mit dem Handwägelchen in die „Holzrott“. Dann rissen wir das trockene Kartoffelkraut heraus und schüttelten die paar daran hängenden Kartoffeln auf die Erde. Nun kamen Vater oder Großvater mit der „Zinkenhacke“ und zogen die restlichen Kartoffelnester aus dem Boden. Oftmals war auch ein Mäusenestchen dabei, und wir Kinder sahen, wie die Mäusekinder nackt auf der Erde lagen. Wenn die Knollen nun etwas abgetrocknet waren, wurden die Kartoffeln in einen Weide- oder Drahtkorb gesammelt, wobei die anhängende Erde noch leicht durchfallen konnte. Wir sortierten gleich, große und kleine Kartoffeln und füllten sie in verschiedene Säcke ab. Das war eine anstrengende Arbeit, und oft tat der Rücken weh. Die großen Kartoffeln dienten später zum Essen, die kleinen Kartoffeln waren als Viehfutter gedacht. Am Ende wurde der Handwagen beladen, die Kartoffeln kamen nach Hause. Dort gab es eine Rutsche aus Brettern und Stangen. Diese wurde am Kellerfenster angelegt, und vorsichtig plumpsten die Kartoffeln in den Keller. Nun war für den kommenden Winter ausgesorgt! Aber etwas Wichtiges habe ich vergessen: Das trockene Kartoffelkraut wurde auf Haufen zusammengesammelt und dann angezündet. Vorher legten wir einige Kartoffeln unter das Kraut. Zunächst roch der Rauch stinkig, aber bald strömte uns ein wohliger Duft entgegen. Wir zogen vorsichtig die Kartoffeln aus der Asche und hatten fertige Bratkartoffeln vor uns. Wenn ich heute zurückdenke, waren es die besten Bratkartoffeln meines Lebens!
Die Landwirte hatten zum Kartoffelausmachen schon eine von Pferden gezogene Maschine, die sie „Kartoffelröder“ nannten. Aber davon wollen wir in einer späteren Ausgabe berichten.
Philipp Bickle/Foto: Ph. Bickle