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Französische Kriegsgefangene bei Reilinger Bauern als Erntehelfer eingesetzt

[Online seit 08.06.2020]

Ferdinand Flox (rechts) und André ( ein anderer franz. Gefangener) mit der kleinen Margret  (wohl 1942 oder 43?)
Ferdinand Flox (rechts) und André ( ein anderer franz. Gefangener) mit der kleinen Margret (wohl 1942 oder 43?)

75 Jahre nach Kriegsende:  Margret Schuppel erinnert sich
Unsere Leserin Margret Schuppel geb. Schneider (Jahrgang 1935) denkt heute noch an die Zeit,  als sie als Kind bei den Großeltern der Familie Karl Weißbrodt im Unterdorf  in der Hauptstraße 18 als Kind  den französischen Kriegsgefangenen Ferdinand Flox kennenlernte. Im Unterdorf gab es  bei verschiedenen Bauern insgesamt 5 Gefangene aus Frankreich.  Sie kamen am Morgen in die Bauernhäuser zum Arbeiten. Nun aber zu „Ferdinand“, wie ihn Margret heute noch in der Erinnerung nennt. Er kam morgens, wie die anderen Gefangenen auch in Privatkleidung, aus dem großen Saal des Gasthauses „Pfälzer (heute Reilinger ) Hof“ zum Arbeitseinsatz. Dort waren die Franzosen unter Aufsicht auf Matratzen und Feldbetten zum Schlafen untergebracht. Ferdinand war von Beruf Lehrer und sprach gut deutsch. Er arbeitete selbsttätig bei der Feldarbeit oder beim Füttern und Melken. War er mit seiner Arbeit gegen Abend fertig,  ging er mit der kleinen Margret zum „Ablooß“ (Ablass-Stelle am Kraichbach, wo der Mühlbach mit Wasser versorgt wurde und wo die Reilinger Kinder badeten) um  ebenfalls dort zu baden.  Es gab feste und strenge Vorschriften. So sollten die Gefangenen beim Essen nicht am gemeinsamen Tisch mitessen. Großvater Weißbrodt sagte aber, wer mit ihnen arbeite, solle auch mit ihnen essen. So war Ferdinand eng in die Familie eingebunden. Da Ferdinand  Lehrer war, machte er  auch mit der zwei Jahre älteren Kusine Ilse (spätere Frau von Günter Schuppel)  Rechenaufgaben.  
Am Abend mussten die Gefangenen dann in Begleitung eines Familienmitgliedes in den „Pfälzer Hof“ gebracht werden, wo kontrolliert wurde, ob noch alle vorhanden waren. Und wer begleitete den Ferdinand? Natürlich , die kleine Margret!
Schlimm sollte es am Kriegsende werden, denn die Besatzungstruppen beschlagnahmten einzelne Häuser für ihre Soldaten und die Reilinger Familien mussten  in kurzer Zeit sich eine neue Bleibe suchen. Die Wohnungen von Margrets Eltern (Hans  und Elsa Schneider ( sie wohnten in der ehemaligen Sparkasse in der Hauptstraße 49 bei Strassackers), aber auch die Wohnung von Großvater Weißbrodt (Hauptstraße 18) wurden beschlagnahmt. Nur das Vieh blieb in der Hauptstraße 18 zurück. Mit Handwägelchen, beladen mit Matratzen, eingesperrten Hühnern und sonstigem „Notzeug“  ging es zur anderen Großmutter in die damalige Hindenburgstraße  Nr. 9 ( heute: Alte Friedhofstraße).
Es gab dort nur eine Plumpstoilette im Hof und daneben die „Mistkaut“  ( Misthaufen) für besonders dringende Fälle, wenn eben mal grad „besetzt“ war!!  Aber auch die fünf französischen Kriegsgefangenen kamen mit.  Sie waren jetzt ja frei! Aber wohin? Das Haus in der Hindenburgstraße quoll aus allen Nähten! Im Keller standen wegen der Luftangriffe noch die Betten. Dort schliefen jetzt die 4 Großeltern. Im weiteren Haus dann die Eltern  Hans  und ElsaSchneider ( 2 Pers.), Karl Hoffmann mit Frau  (2 Pers.) und den Töchtern Ella, Friedel und Ilse (3 Pers.) Dazu kam noch Margret, die Schwestern ihres Vaters: Lenchen und Eva mit Söhnchen Willi (4 Pers.) und die 5 Franzosen ! Gottlob hatte man genügend Matratzen zusammenbekommen! Es waren insgesamt  20 Personen!!
Nach dem Essen gefragt, erzählte Margret Schuppel, dass ihr in Erinnerung  geblieben sei, dass ihre Mutter  einmal 100  (!!) Dampfnüldelchen“ zum Aufgehen auf die Speichertreppe gestellt habe, weil sonst kein Platz frei gewesen sei.  Zum Essen wurden dann die „Dampfnudeln“ auf alle Köpfe verteilt, wobei die kleineren Kinder natürlich auch den vollen Teil  (5 Stück!) haben wollten! Tagsüber  ging Ferdinand dann mit in das besetzte Haus im Unterdorf. Dort wurden die verbliebenen Tiere gefüttert und gemolken. Aber um 18 Uhr musste man wieder zurück sein, denn es begann die Ausgangssperre und dann durfte niemand mehr auf der Straße sein.
Nachdem Ferdinand nun auch nach Frankreich zurückgekehrt war, ließ er nichts mehr von sich hören. Im Rahmen der Partnerschaft Reilingen-Jargeau erzählten die Schuppels die Geschichte den französischen Partnern. Und siehe da! Heimlich hatten die französischen Feuerwehrkameraden  den Aufenthaltsort von Ferdinand und seiner Frau herausgefunden und beim nächsten Aufenthalt in Jargeau wurden sie  zum Treffen mit den Reilingern eingeladen. Er feierte gerade seinen 70. Geburtstag.
Margret erkannte den ergrauten Ferdinand sofort wieder, und sie fielen sich in die Arme.  Kusine Ilse Schuppel, die auch dabei war, fragte er lachend: „Na, Ilse kannst Du jetzt rechnen“ Auf die Frage, warum er sich nicht gemeldet habe, sagte Ferdinand, dass er sich geschämt habe. Er hatte einem elsässischen mitgefangenen Kameraden anvertraut, dass  Margret`s Vater sein Motorrad versteckt hätte. Dies habe der Kamerad geklaut und sei damit zurück nach Frankreich gefahren. Im Jahre 1991 kam Ferdinand mit seiner Frau zu einem Gegenbesuch nach Reilingen.

Philipp Bickle

Wiedersehen nach 45 Jahren (Sommer 1990): Ferdinand Flox umarmt Margret Schuppel in Jargeau  (im Hintergrund Ilse Schuppel geb. Hoffmann mit Ehemann Günter)
Wiedersehen nach 45 Jahren (Sommer 1990): Ferdinand Flox umarmt Margret Schuppel in Jargeau (im Hintergrund Ilse Schuppel geb. Hoffmann mit Ehemann Günter)
Auszug aus einer Vorschrift zum Umgang mit Kriegsgefangenen
Auszug aus einer Vorschrift zum Umgang mit Kriegsgefangenen

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