Wir berichten
Vor 75 Jahren: Vorläufiges Ende des Zweiten Weltkrieges in Reilingen (Teil1)
[Online seit 07.04.2020]
Am Ostersonntag, dem 1. April 1945 zogen die Amerikaner ein!
Am 31. März schreibt Anna Heilmann (geb. Althaus), sie war damals 38 Jahre alt, in ihrem sehr ergreifend und persönlich berührend geschriebenen Tagebuch, das uns von Enkel Rüdiger Astor zu Verfügung gegeben wurde, wie es am letzten Kriegstage zu einem tragischen Unglücksfall kam. Die Familie wohnte damals in der Hockenheimer Straße 45.
„ Bis heute (Ostersamstag 31. März 1945) waren deutsche Soldaten in unserem Dorf. Der Krieg mit seinem Schrecken ist da. Reilingen und Hockenheim sind vorderste Kampflinie. Wir sitzen den Tag über im Keller. Nur das Allernotwendigste (Vieh füttern, Mahlzeiten zuzubereiten), das besorgen wir oben. Gearbeitet wurde schon wochenlang nichts mehr. Die Bäcker backten nicht mehr. Alles war eingestellt. Während dessen schoss schwere Artillerie der amerikanischen Einheiten auf unseren Ort. Immer auf Wegkreuzungen und Verkehrsstraßen. Um 6 Uhr aßen wir zur Nacht. Es gab Kartoffelsalat, Griebenwurst, Brot und Flaschenwein, den uns „ Grünbaumwirtin“ Elsa Hocker am Tage zuvor verkauft hatte, damit er den Besatzungstruppen nicht in die Hände fallen sollte. Wir wurden uns einig, nicht im Keller, sondern mit unseren beiden Mädchen in einem selbst gebauten Bunkerhinter dem Hühnerhaus zu übernachten. Im Bunker selbst waren drei Bänke zum Sitzen, Kissen, Teppiche, eine Uhr, ein Eimer Wasser, ein Korb voll Esswaren und eine Laterne….“
Als sich dann der Vater Konrad mit den Mädchen Hedi (15 ½ Jahre) und Liesel (17 ½ Jahre) auf den Weg in den Bunker machten, fiel auf das Dach der Scheune eine Granate. Drei dicke Dachsparren und andere Holz- und Ziegelteile fielen in den Hof. Hedi war verschüttet und schwer verletzt. Inzwischen bemühte sich der Vater auch um Liesel, die keinen Laut von sich gab. „ Sie lag tot, lang ausgestreckt mitten im Hof. Ein Splitter durch die linke Schläfe, zwei Finger breit vom Auge entfernt, drang durch den Hinterkopf, so dass Blut aus dem Nacken lief. Das Schienbein war von einem großen Splitter der Länge nach aufgerissen. Die rechte große Zehe war ganz zerfetzt .Im Ganzen hatte sie drei Splitter abbekommen, die ihr sofort das Leben nahmen. Unser polnischer Fremdarbeiter Nikolaus Kalita saß im Scheuerkeller. Dorthin drangen auch einige Splitter, aber er blieb unverletzt. Er kam am sofort zur Unfallstelle. Es fielen immer noch Granaten. Vater und Nikolaus fassten meine liebe, gute Liesel am Kopf und an den Füßen und trugen sie zu mir in den Garten vor dem Bunker. Diese ganz traurige Geschichte hatte sich in wenigen Minuten abgespielt! Es war fünf Minuten vor acht Uhr am Abend des 31. März 1945“.
(…)…“Um 9 Uhr am Ostermorgen, den 1. April besetzten amerikanische Truppen unser Dorf. Viele Häuser wurden für die Soldaten beschlagnahmt. Die Leute mussten binnen einer halben Stunde das Haus verlassen, und alles Inventar musste zurück bleiben. Auch wir sollten räumen. Drei schwer bewaffnete Soldaten kamen zu mir in die Küche, die viele Granatschäden hatte. Ich war gerade dabei, die Granatsplitter, Glasscherben und den Schutt mit dem Besen und der Schippe zu entfernen. Sie gaben mir zu verstehen, dass Soldaten ihrer Einheit die Wohnung gebrauchen würden. Ich öffnete die Tür zu Liesels Stube und sagte, dass sie Mörder seien. Dann öffnete ich Hedis Krankenzimmer und sagte ihnen, dass auch dieses Kind schwer verwundet sei. Alle drei senkten die Köpfe und verließen wortlos unser Haus. Wir durften bleiben! Karl Schrank („Traube“), Krämer und Hermann Kneis mussten räumen. Wir nahmen nun Familie Otto Kneis (kath. Messner) in unser Haus auf.
Philipp Bickle (auszugsweise aus Anna Heilmanns in Sütterlin geschriebenem Tagebuch)
Fotos: Philipp Bickle/Charly Weibel