Wir berichten
Unsere Großväter und Urgroßväter trugen oft einen Schnurrbart (Teil 1)
[Online seit 21.10.2019]
Heute werden von jungen Männern wieder vermehrt Bärte getragen. Bei den alten Reilinger Männern waren Schnurrbärte fast immer die Regel. Es gibt aber auch wenige Bilder von Vollbarträgern. Als Reilinger Beispiele seien hier die beiden Ortspolizeidiener Christoph Vögele (1880 – 1961) und Johann Klotz ( 1876 -1947) vorgestellt.
Umgangssprachlich spricht man auch von einem „Schnauzer“ oder gar „Rotznasenbremser“. Wobei die letzte Bezeichnung so gar nicht von der Hand zu weisen ist. Im Winter sammelten sich an den Bartspitzen gefrorene Wassertröpfchen! Am Schnurrbart blieben halt auch Brötchenreste, Bierschaum und andere Essensreste hängen. Im Reilinger Heimatmuseum gibt es sogar eine „Barttasse“, welche einen Porzellaneinsatz hatte, damit der Schnurrbart trocken blieb! Die Inschrift auf der Tasse lautet:
„ Mit dieser Tasse schützest Deines Bartes Spitzen,
kein Tropfen Kaffee bleibt an Deinem Barte sitzen!“
Bekannt war der Kaiser-Wilhelm- oder Zwirbelbart, welcher nach dem deutschen Kaiser Wilhlem II. benannt war. Es waren nach außen gekämmte, seitlich längere Barthaare mit hochgezwirbelten Enden. Damit der Bart in der Nacht nicht seine Form verlor, trug man in der Nacht eine hinter dem Ohr zu befestigende Bartbinde. (Auch im Reilinger Heimatmuseum kann man ein solches Exemplar besichtigen!) Außerdem befeuchtete man ihn mit einer vom kaiserlichen Hoffriseur Francois Haby entwickelten Barttinktur . Diese Tinktur hieß: Es ist erreicht!“ Danach wurde auch dieser Bart „Es–ist-erreicht-Bart“ genannt. Damit der Bart seine Figur und Farbe behielt, gab es auch „Bartwichse“, mit welcher man die Barthaare bearbeiten konnte und natürlich andere kosmetische Artikel zur Bart-und Haarpflege.
Klar, dass die jungen Männer stolz waren, wenn in der Jugend der aufkommende Flaum so reichlich wurde, dass er zum Bart geformt werden konnte. Freilich gab es für den Friseur nun immer noch Arbeit. Mein Großvater ging trotz Schnurrbartes jede Woche zum „Frey-Friseur“, um sich dort rasieren zu lassen oder den Bart gestutzt zu bekommen. An der Wand hingen in einem Regal zahlreiche weiße Rasiernäpfe, welche immer für den gleichen Benützer verwendet wurden. Mit einer besonderen Rasierseife wurde mit dem Pinsel und warmem Wasser im Seifennapf ein haaraufweichender Seifenschaum erzielt, der nun mit dem Rasierpinsel im Gesicht verteilt wurde, so dass der Friseur mit dem frisch geschärften Rasiermesser den Kunden glatt rasieren konnte.
Erst später entwickelte sich das „Selber- Rasieren“. Darüber werden wir im nächsten Teil berichten.
Philipp Bickle
Fotos: le