„Idyllisch, innerlich stark und mittendrin in der Metropolregion“
Bürgermeister Stefan Weisbrod spricht im persönlichen Interview über „Visionen“, Profil und künftige Strukturen Reilingens
Klare Wahlentscheidung, feierliche Amtseinführung, jetzt sind Sie Bürgermeister. Braucht man dann noch lange, um auch innerlich „anzukommen“?
Ich habe lernen müssen: Alles braucht seine Zeit. Trotz Berufserfahrung habe ich etwa ein Jahr gebraucht, bis ich hier richtig angekommen bin.
Sind die Reilinger wirklich „etwas anders“, wie man oft in den Nachbargemeinden sagt?
Ja, das stimmt unbestritten. Die Identifikation mit ihrer Gemeinde ist bei den Reilingern außerordentlich ausgeprägt. Der Zusammenhalt innerhalb der Dorfgemeinschaft könnte besser nicht sein, glauben Sie mir, ich war echt beeindruckt.
Bekanntlich wird in Reilingen alles sehr gründlich gemacht, Festvorbereitungen beispielsweise. Hat Sie das erfreut oder kann das auch mitunter nerven….
….sehen Sie, die Vorbereitung entscheidet stets über den Erfolg. Hier wird ja immer wieder der Beweis geliefert. Da sind wir auch froh und glücklich, dass es in Reilingen eine KuSG gibt.
Herr Weisbrod, kann man, wenn man wie Sie direkt aus der Nachbarstadt kommt, eine handfeste Definition „des Reilingers“ geben?
Dazu kann ich ganz spontan sagen: Sympathisch, offen, aber auch direkt in der Ansprache. Das gehört hier einfach zusammen. Und dann empfinde ich die Menschen hier als stets fleißig und sparsam und vor allem jederzeit bereit, die Feste zu feiern, wie sie fallen.
Wenn man sich Bürgermeisterwahlen im Lande anschaut – oft scheint wenig Interesse an Kandidaturen zu bestehen. Kommt es auf die Attraktivität einer Gemeinde, auf das Flair, auf die Bürger an?
So ist es. Gemeinde ist nicht gleich Gemeinde. Um attraktiv zu sein, braucht eine Gemeinde ein eigenes Profil und muss vor allem auch Sympathie ausstrahlen. Beides ist in Reilingen vorhanden. Es gilt auch hier: Die Menschen sind das Maß der Dinge.
Nach gut einem Jahr kann man noch keine Bilanz ziehen: Aber so ein wenig aus dem Nähkästchen kann man schon plaudern: Mussten Sie sich schon einmal eingestehen: So hatte ich mir das nicht vorgestellt?
Ich bin dankbar, dass Schaffen noch nie eine Last für mich war. Wäre dies nicht so, hätte ich hier in Reilingen ein Problem. Es tut aber auch unheimlich gut, zu sehen, was man alles Schönes bewegen kann.
Sicherlich würde man lügen, wenn einem die vielen öffentlichen Auftritte nicht doch manchmal auf die Nerven gehen würden. Reden Sie sich dann selbst gut zu: Auf geht´s.
Nein, bestimmt nicht, also bisher brauche ich mir Gott sei Dank noch nicht gut zureden, weil sehr Vieles auch sehr viel Spaß macht. Anstrengend kann das natürlich schon sein. Und ich muss ehrlich sagen, das Schlimmste ist nach einem terminreichen Wochenende am Montagmorgen die Erkenntnis, dass schon wieder eine neue Woche beginnt.
Bürgernähe ist ja gerade in einer sehr gemeinschaftlich veranlagten Gemeinde von großer Bedeutung, verspürt man da immer mal wieder frischen Wind für die nächsten Aufgaben?
Das ist wirklich gut so. Es gibt kaum eine Begegnung, die nicht auch neue Ideen oder auch Verbesserungsvorschläge für unsere Arbeit hervorbringt. Davon profitiere ich sehr.
Ein solch vielseitiges und forderndes Amt an der Spitze einer so lebhaften Gemeinde strahlt ja auch ein wenig auf das Familienleben aus. Wie reagieren zum Beispiel Ihre vier Kinder: „Unser Papa hält jetzt immer Reden und die Leute müssen ihm zuhören…
….nein, so ist es also doch nicht. Meine Frau und ich haben natürlich mit den Kindern schon von Anfang an über meine Arbeit als Bürgermeister gesprochen. Und ich habe meinen Kindern versprochen, ich möchte nie „ein Bürgermonster“ werden. Dies war sehr
lustig, als die Kinder dies mal aus dem Dialekt herausgehört hatten: Hallo Herr „Borjemoster“. Das Schlimmste ist, wenn man langweilig wird. Da bin ich sensibel, denke ich.
Besteht die Gefahr, dass man auch zuhause anfängt, zu „dozieren“?
Dozieren sicherlich nicht, aber man darf sicherlich nicht anfangen, die Kommunikation mit der Familie zu „filtern“. Bei der täglichen dienstlichen Arbeit muss man schließlich nach Wichtigem und weniger Wichtigem „filtern“ , ansonsten kann man die Flut der dienstlichen Infos nicht verarbeiten. Da muss man dann aufpassen, dass man das nicht auch auf die Familie überträgt.
Noch ein grundsätzlicher Gedanke zur Arbeit eines Bürgermeisters: Vereinfacht ausgedrückt: Früher waren ganz allgemein die Bürgermeister stolz, prächtige Einrichtungen bauen zu können. Heute sind sie froh, wenn sie keine schließen müssen. Sind der Gestaltungsrahmen und die Möglichkeiten für Bürgermeister zu sehr eingeschränkt?
In der Tat geht es künftig mehr um „weiche Faktoren“ als um harte Standortfaktoren. Das, was früher die Wasserversorgung war, ist heute der Breitbandausbau. Früher ging es um Schul- und Sporthallenbau, heute um Mittagstisch und Ganztageskonzepte.
Herr Weisbrod, Sie kommen aus der Verwaltung, machen aber nicht den Eindruck des Nur-Verwalters, sondern sind doch auch gerne ein Gestalter. Konkret: Wo steht Ihrer Meinung nach Reilingen heute und wo sollte es 2020 stehen?
Wir müssen einige Dinge verändern, dass letztendlich alles so schön bleiben kann wie es ist! Familienfreundlichkeit ist das Gebot der Stunde. Einer Gemeinde, die hier punkten kann, wird die Zukunft gehören. Wenn eine junge Reilinger Familie nach auswärts zieht, nur weil hier kein Baugrundstück zu finden ist, muss uns das beunruhigen. Wenn wir wollen, dass unser Reilingen stark bleibt, brauchen wir ein Neubaugebiet genauso wie eine gute Schule. Darüber dürfen wir unsere älteren Mitbürgernicht vergessen. Bereits viele Dutzende von Reilingerinnen und Reilinger leben in auswärtigen Einrichtungen, nur weil sie pflegebedürftig geworden sind. Das finde ich nicht gut, warum dürfen diese nicht auch in ihrem Reilingen alt werden. Auch da müssen wir unbedingt tätig werden.
In welchem Bereich muss sich Reilingen noch erweitern oder verändern, um seine Individualität auszubauen?
„Idyllisch und doch mittendrin“ könnte auch ein Slogan für Reilingen sein. Nach innen stark, mittendrin in der prosperierenden Metropolregion und doch sensibel im Umgang mit dem schönen dörflichen Charakters Reilingens in einer wunderbaren Kulturlandschaft.
Selbst wenn manche Politiker sich stark finden, wenn sie über „Visionen“ sich eher lustig machen, als Verwalter und Gestalter einer nicht kleinen, aber überschaubaren Kommune muss man aber doch Ideen und Ziele haben. Auch solche, die sich nicht im handumdrehen verwirklichen lassen? Haben Sie solche?
Ich habe es ja bereits erwähnt: die Kinder und jungen Familien müssen wir mit ihren Bedürfnissen stets im Blick behalten, genauso wie die alten Menschen unter uns gehören und nicht nach auswärts. Integration von Neubürgern auch mit Migrationshintergrund und gleich welcher Herkunft wird zunehmend auch ein kommunales Thema. Zur Lebensfähigkeit der Gemeinde gehört auch, dass Gewerbebetriebe an unserem Standort gepflegt werden und auch dafür nachgefragte Grundstücke bereitgehalten werden. Interkommunale Zusammenarbeit wird noch wichtiger werden.
Wie kann man mit der Zeit das Profil Reilingen noch weiter verschärfen?
Wir sind ja immer auf der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen. Aus dem Fest der Dorfgemeinschaft und dem Käskuchenfest wurde das Straßenfest, welches jetzt auch in vielen anderen Gemeinden gefeiert wird. Die leckeren Reilinger Erdbeeren und die köstlichen Spargel zelebrieren wir nach außen meines Erachtens noch zu wenig. Im Frühjahr einen „Erdbeer- und Spargelsonntag“ zu feiern, das wäre was. Nicht zu vergessen ist die Idee, der Revitalisierung des „Nachtumzugs der Narren“!
Nochmals zu Wunschträumen: Wie stellen Sie sich in Ihren kühnsten Traumwünschen (nach Absprache mit der Glücksfee mit den drei Wünschen) die Gesamtanlage Wersau im Jahre 2020 vor…
…dass das Areal für geschichtsinteressierte Menschen offensteht, die Ehrenamtlichen noch mit Spaß an der Sache tätig sind und die Regionalgeschichte über Reilingen hinaus auch Strahlkraft entfaltet.
Blicken wir kurz auf das zu Ende gehende Jahr zurück. Was fällt Ihnen da ganz spontan positiv ein?
Für mich persönlich das Highlight war die Verwirklichung einer super schönen Sportanlage mit einem neuen Kunstrasenplatz, übrigens der erste in der ganzen Verwaltungsgemeinschaft, und einer neuen Tartanbahn für die Leichtathleten. Danke Dietmar Hopp und unserem Gemeinderat !
Und blicken wir ganz kurz auf 2015. Was liegt Ihnen da am Herzen?
In aller Kürze ein paar Stichworte:Haydnallee, Neubaugebiet Herten II, Schulentwicklung und hoffentlich neues evangelisches Martin-Luther-Gemeindehaus.
Das Interviewgespräch führte Franz Anton Bankuti.