Ortsgeschichte

Die Windhose von Reilingen
Bewohner der Ziegelstraße, Zeichnung von Josef Müller

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Teil 3

Es waren schon einige Tage seit dem Ereignis vergangen, als Schimper bei uns in Reilingen eintraf und in die Ziegelgasse kam. Er meinte damals, diese Gasse habe wirklich den richtigen Namen, denn überall lagen Haufen von zusammengelesenen Ziegelbrocken neben den noch abgedeckten und sehr beschädigten Häusern. Unterwegs hatte er bereits einen besonders schwer betroffenen Bürger unserer Gemeinde kennen gelernt und war mit ihm eiligen Schrittes dem Dorf zugeeilt. Es war der Lumpensammler Michael Buchner. Gerade sein Haus war von dem Unwetter am meisten heimgesucht worden. Es lag in der Mitte der Zuglinie. Michael Buchner hatte schon auswärts erfahren, was passiert war.

Als er daheim ankam, traf er seine Tochter völlig apathisch an. Sie war allein im Haus von dem Wirbelsturm überrascht worden und aus Angst vor dem Lärm und dem furchtbaren Geschehen unter ihr Bett gekrochen und musste miterleben, wie ihr ganzes Hab und Gut auf seltsame Weise zerstört wurde.

Der Tornado hatte wie eine Saugpumpe gewirkt. Die Gebäude wurden nicht von der Seite erfasst, sondern von oben. Erst zog der Sturm unter ungeheurem Lärm die Ziegel in die Höhe, dann holte er alles aus den Häusern, was beweglich war: Zentner von Lumpen, die in die Papiermühle gebracht werden sollten, Gerätschaften, Geschirr, Möbel, alles flog in der Luft herum und wurde z.T. kilometerweit getragen. Fenster und Türen wurden herausgerissen und bei manchen Häusern selbst die Riegelwände verschoben. Die Häuser erzitterten dabei, und die Menschen wussten nicht, wohin sie sich retten sollten. Im Freien prasselten die gerade hochgerissenen Ziegel auf die Erde nieder. Der Sturm presste die Menschen an Zäune und Wände; Massen von Laub und Ästen flogen durch die Luft und sausten hernieder. Wer es noch schaffte, versuchte ins Haus zu kommen und legte sich flach auf den Boden, um wenigstens ein bisschen Schutz zu finden und nicht noch weggerissen zu werden. Ein Junge wurde in die Jauchegrube geschleudert und kämpfte um sein Leben. Die Nachbarsfrau, die dies beobachtete, wollte ihm zu Hilfe eilen. Zuerst wurde sie von einem herab fallenden Ziegelstück getroffen, dann drückte der Sturm sie an den Zaun, so dass sie nicht mehr wegkam.

Und dann war plötzlich alles still! - So rasch, wie der Sturm gekommen war, war er wieder weg. Die Menschen brauchten einige Zeit, bis sie dies begriffen hatten. Dann sahen sie, was aus ihrem Besitz geworden war: Die Häuser zerstört, die Ziegel abgedeckt, die Straße voll gesät mit Ziegelbrocken, Ästen, Zweigen und Blättern. Und erst allmählich wurde ihnen klar, dass sie fast alles verloren hatten.

Es gab zwar zu jener Zeit bereits Versicherungen gegen Hagel, Feuer und Wasser, aber eine solche Katastrophe war noch nie eingetreten und niemand war dagegen versichert. Woher sollten sie das Geld nehmen, um all die Schäden wieder gutzumachen? Diese Gedanken gingen Schimper durch den Kopf, als er Reilingen verließ. Er überlegte sich, wie er den armen Menschen unserer Gemeinde helfen konnte. Bald darauf veröffentlichte er Aufrufe, vor allem an die Leute in der Stadt, den Geschädigten zu helfen. So ließ er in seiner Schrift einen Reilinger sagen:

"Die Stadtleute sind gut, wenn die es wüssten, so wäre uns wohl geholfen. Aber wir sind zu weit weg und außer der Straße; unser Unglück erfährt niemand". Im Mannheimer Morgenblatt vom 16.10.1845 fragte sich Schimper, ob "nicht ein Ziegeleibesitzer oder einer aus der Reihe derer, die als Verfertiger (HerstelIer), Geschirr und allerlei Hausgerät in beneidenswertem Überflusse besitzen ... , die Gelegenheit wahrnehmen werden", um den armen Menschen in Reilingen zu helfen.
Bereits knapp 2 Wochen später war eine Summe von über 50 Gulden von Lesern und den Mitgliedern des Mannheimer Naturkundevereins zusammengekommen, um den Betroffenen zu helfen.

Allmählich verheilten die Wunden der Windhose. In den Wäldern wuchsen die Bäume nach; die Häuser in Reilingen wurden wieder instand gesetzt und die Menschen vergaßen mit der Zeit die Schrecken dieser heißen Sommertage im Juli 1845. Außer ein paar kurzen Notizen in Mannheimer, Heidelberger und Karlsruher Zeitungen wäre nichts mehr davon bekannt, hätte nicht der Naturforscher Karl Friedrich Schimper alles von der "Windhose von Reilingen" notiert, skizziert und in seinen Artikeln in den Mannheimer Zeitungen und in seinem kleinen Buch veröffentlicht.

Bernhard Römpert
Fortsetzung folgt
( 02.10.2008 - 16:41)

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